Das Haus Der Schwestern
beieinander in den zerwühlten Kissen und Decken, nach der Kälte des Tages genußvoll hingegeben an die Wärme ihrer beider Körper unter den weichen Daunen, und John sagte plötzlich: »Ich habe heute einen Brief von Victoria bekommen.«
Frances konnte diesen Namen nicht hören, ohne daß ihr Herz schneller zu klopfen begann. Sie empfand das, was er gesagt hatte, wie ein bösartiges Eindringen der Welt in den empfindlichen Kokon, der um sie beide gesponnen lag.
»Von Victoria? Woher kennt sie denn deine Adresse?«
»Ich habe ihr geschrieben, als ich hierherkam.«
»Warum? «
John lachte, er schien dieses Warum auf eine belustigende Weise naiv zu finden.
»Man hatte ihr doch mitgeteilt, daß ich vermißt wurde. Ich mußte ihr natürlich schreiben, daß ich noch lebe und mich im Moment hier an der Küste erhole.«
»Meinst du, sie wird jetzt hier anreisen?«
»Sicher nicht. Ich glaube nicht, daß Victoria allein durch ganz England reist, bei diesem ständigen Sturm über den Kanal setzt und sich nach Frankreich begibt —was für sie, an welchem Ort auch immer, gleichbedeutend ist mit der Front.«
»Ich ...«, begann Frances, aber John unterbrach sie. »Victoria ist nicht wie du. Bestimmte Dinge kämen für sie nicht in Frage.«
Frances meinte, eine gewisse respektvolle Anerkennung aus seiner Stimme zu hören, und das versöhnte sie mit dem Schrecken, in den ihre Schwester sie gestürzt hatte.
Ebenso unvermittelt wie zuvor sagte John in diesem Moment: »Noch eine Woche, und ich kehre zu meinem Regiment zurück.«
Frances setzte sich auf. »Das geht nicht«, sagte sie.
Ihr Mund war auf einmal ganz trocken. »Der Arzt wird es nicht erlauben.«
»Er hat es schon erlaubt. Ich bin wieder in Ordnung. Es gibt keinen Grund für mich, noch länger in einem Sanatorium herumzuhängen und den kranken Mann zu spielen.«
Frances stieg aus dem Bett und schlüpfte in ihren Bademantel. In dem Spiegel über dem Waschtisch konnte sie sehen, daß sie blaß geworden war.
»Niemand verlangt das von dir«, sagte sie. »Du hast deinen Anteil geleistet in diesem Krieg. Jeder würde verstehen ...«
»Ich will es so. Meine Entscheidung ist nicht mehr zu ändern.«
Die unvermeidliche Whiskyflasche und zwei Gläser standen auf einem Tablett bereit. Frances schenkte sich ein, kippte den Alkohol in einem Zug hinunter. Ihre Hände zitterten leicht.
»O Gott«, sagte sie leise.
»Du kehrst dann am besten nach England zurück«, meinte John.
Sie sah ihn an. Er hatte sich im Bett aufgesetzt. Seine Arme, die Frances gerade noch gehalten hatten, lagen entspannt auf der Decke. Nichts an ihm gehörte ihr, gar nichts. Sie hatte keine Rechte, keinen Einfluß. Er würde tun, was er wollte, ohne sich um sie zu scheren.
»An der Geschichte mit dem Jungen«, sagte sie, »wirst du nichts ändern, auch wenn du jetzt erneut deinen Kopf hinhältst.«
Mit einer zornigen Bewegung warf John die Decke zurück, stand auf und begann sich anzuziehen. »Hör auf damit«, sagte er, »ich will davon nichts mehr hören!«
»John, ich finde...«
»Ich sagte, ich will nichts hören! « fauchte er. Mit beiden Händen fuhr er sich durch die noch nassen, wirren Haare, um sie zu glätten.
»Deine Sachen sind noch nicht trocken«, sagte Frances, »zieh sie wieder aus, wir hängen sie unten vor den Kamin. Dann trinkst du noch einen Whisky und ...«
»... und überlegst es dir anders? Vielen Dank, Frances, nein! Ich will jetzt gehen, und zum Teufel mit den nassen Kleidern!«
Nur weil ich den Jungen erwähnt habe, dachte Frances.
John ließ die Tür laut hinter sich zufallen. Seine Schritte verklangen auf der Treppe.
Frances stellte klirrend ihr Glas ab. »Dann verschwinde doch!« rief sie laut. »Geh doch an die Front! Fordere das Schicksal ein zweites Mal heraus! Mach, was du willst. Und laß deine verdammten Launen an anderen aus!«
Am nächsten Tag packte sie ihre Koffer und fuhr nach Le Havre, um sich wegen einer Überfahrt nach England zu bemühen.
Dezember 1916
London empfing sie kalt, grau und trostlos. Von der sonst im Dezember üblichen festlichen Vorweihnachtsstimmung war kaum etwas zu spüren. Der Krieg hatte schon zu viele Opfer gefordert, als daß es den Menschen nach Feiern zumute gewesen wäre. Es gab nicht mehr allzu viele Familien, in denen nicht wenigstens ein Toter zu beklagen gewesen wäre.
Der Unmut innerhalb der Bevölkerung wuchs. Von der anfänglich patriotischen Stimmung war kaum mehr etwas übrig. Man wollte endlich den
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