Das Haus Der Schwestern
war blitzblank, warm und gemütlich, und in der Küche briet der Fisch und kochten die Kartoffeln.
»Oh«, rief Alice, »was ist denn hier los?«
Dann erst entdeckte sie Frances. Es gelang ihr nicht, zu verhehlen, daß sie über die Anwesenheit der einstigen Freundin alles andere als glücklich war.
»Seit wann bist du denn da?« fragte sie gedehnt.
»Seit heute mittag«, antwortete Frances. Sie war wütend, und sie wußte, daß man ihr das ansah.
»Ich bin entsetzt, Alice. Wirklich entsetzt!«
»Psst!« machte Alice mit einer Kopfbewegung zu dem reglos dasitzenden George hin.
»Ach, glaub doch nicht, daß es ihn interessiert, was wir reden!« sagte Frances. »Er nimmt uns doch gar nicht wahr! Sieht so deine Fürsorge für einen kranken Mann aus? Als ich kam, war es hier drinnen so kalt, daß man seinen eigenen Atem sehen konnte, und es stank so widerlich nach altem Essen, daß es einem schlecht wurde. George saß völlig allein da in seinem Stuhl und starrte vor sich hin. Alice, auf diese Weise würde er selbst dann depressiv werden, wenn er kein Trauma hinter sich hätte!«
Müde streifte Alice ihre Strickmütze vom Kopf, schälte sich aus Mantel, Schal und Handschuhen. Sie sah verfroren und sehr erschöpft aus.
»Wo warst du überhaupt den ganzen Tag?« fragte Frances.
»Arbeiten«, antwortete Alice.
»Arbeiten? Aber du hattest doch immer ...«
»Das Geld aus meinem Erbe ist sehr zusammengeschmolzen. Und ich gehe mit George zweimal in der Woche zu einem Psychologen. Das verschlingt eine Menge. Also habe ich mir eine Arbeit gesucht.«
»Was machst du?«
»Büro. Bei einer Firma, die Wein importiert. Es ist anstrengend, aber sie zahlen nicht schlecht.«
Frances fühlte sich beschämt. »Für die Kriegsopfer muß doch der Staat sorgen!«
Alice schüttelte den Kopf. » George gilt nicht als versehrt. Er ist ja körperlich in Ordnung. Seine Seele interessiert niemanden. Er müßte schon wirr reden oder eindeutig geistesgestört auftreten. Aber das tut er ja nicht.«
»Wir sollten erst einmal essen«, schlug Frances vor. Sie hatte bereits den Tisch vor dem Kamin gedeckt und mit einer Kerze geschmückt. Das Essen duftete verlockend. Frances und Alice aßen mit gesundem Appetit, wohingegen George nur deshalb zu essen schien, weil man ihm gesagt hatte, er solle es tun.
Er merkt gar nicht, was er auf dem Teller hat, dachte Frances, er würde nicht mal merken, wenn es Hundefutter wäre.
Später spülten Alice und Frances ab, und Frances schnitt erneut das Thema George an.
»Du meinst das gut mit dem Psychologen, Alice, ich weiß. Aber ich glaube nicht, daß es etwas nützen wird. Nicht, wenn die übrigen Umstände so negativ sind. Ich bin wirklich erschrocken heute mittag. George ist viel zuviel allein, wenn du jeden Tag arbeiten gehst. Nichts reißt ihn aus seiner Grübelei. Er sitzt hier in dieser Kälte, in diesem finsteren Loch, und starrt die Wände an. Vermutlich sieht er ständig furchtbare Bilder, die ihm niemand vertreibt. Merkst du denn nicht, daß er immer mehr in sich versinkt?«
»Es ist hier nicht immer so kalt«, verteidigte sich Alice. »Wir sind in dieser Woche zum ersten Mal in Not geraten mit den Kohlen.«
Frances seufzte. »Das ist doch das wenigste!«
»Es gibt keinen anderen Weg«, beharrte Alice und schrubbte an einem Glas herum.
»Doch, den gibt es. Westhill Farm.«
Alice lachte höhnisch. »Fängst du schon wieder damit an? Glaubst du, es tut George gut, seinen Vater wiederzusehen? Der ihn verstoßen hat und nur an ihm herumkritisiert?«
»Ich habe dir schon einmal gesagt, die Zeiten haben sich geändert. «
»Aber nicht die Menschen.«
»Die Menschen insofern, als sie, nach allem, was war, andere Dinge für wichtiger halten als früher.«
»Ich stimme dem nicht zu«, sagte Alice. Das Glas zersprang. Blut tropfte in das Spülbecken, und Alice wurde bleich.
Frances zog ein Taschentuch hervor und schlang es um den verletzten Finger. »Das hört gleich auf zu bluten.«
Mit einem gewissen Bemühen um Sanftheit und Verständnis sah sie die totenblasse Alice an. »Du mußt ihn hergeben. Wie die Dinge liegen, kannst du nicht richtig für ihn sorgen.«
»Ich kann es«, sagte Alice, dann stürzte sie ans Fenster, riß es auf, atmete gierig die frische, kalte Luft. Auf ihrer Stirn hatten sich Schweißperlen gebildet.
»Entschuldigung«, sagte sie, »ich dachte gerade, ich falle um.«
Sie ist hundemüde, dachte Frances, und nervlich am Ende. Das alles überfordert sie
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