Das Haus Der Schwestern
wollen, und das machte eine zutiefst frustrierte Frau aus ihr.
An John kann es übrigens nicht gelegen haben, daß es zwischen den beiden nicht klappte — das wußte ich lange, bevor Jahre später sein Sohn Fernand geboren wurde. Ich war zweimal schwanger von ihm, 1923 und 1925. Ich ließ das jeweils in London in Ordnung bringen, hauptsächlich meinem Vater zuliebe. Meinen Kredit bei ihm hatte ich voll ausgeschöpft, genau genommen weit überzogen durch meinen Gefängnisaufenthalt damals vor dem Krieg. Als ledige Mutter hätte ich ihm den Rest gegeben. Es fiel mir nicht so leicht, wie es hier klingt, aber es ging nicht anders, und ich hatte mir angewöhnt, über Unabänderliches niemals lange zu klagen.
Im März des Jahres 1933 wurde ich vierzig. Es war die Zeit der weltweiten Depression, und das merkten wir hier oben auch. Es hatte sich viel verändert in der Welt. Rußland war jetzt eine Republik, in Moskau regierte Josef Stalin. Die Revolution hatte viele Leben gefordert und großes Leid gebracht, und noch immer lebten die Menschen dort elend und in Angst. Bei uns in England saß König Edward VIII. auf dem Thron, ein etwas labiler, wankelmütiger Mann, der 1936 wegen seiner Liebe zu der geschiedenen Amerikanerin Wallis Simpson abdanken und die Regentschaft an seinen Bruder, den Herzog von York, abtreten sollte. In Deutschland war Adolf Hitler im Januar zum Reichskanzler ernannt worden. Noch ahnte hier kaum jemand, welche Folgen das für die ganze Welt und auch für England haben würde.
Mir machte es nichts aus, vierzig zu werden. Victoria heulte an meinem Geburtstag, denn er erinnerte sie daran, daß sie auch bald an die Reihe kam. Sie sah sehr schlecht aus in dieser Zeit. Ich glaube, John behandelte sie wirklich wie einen Schuhabstreifer.
In all den Jahren besuchte ich nach wie vor Sonntag für Sonntag meinen Bruder George in seinem Cottage bei Scarborough. Ich brachte ihm zu essen und zu trinken, Farbe und Leinwand. Manchmal ließ er es zu, daß ich ein wenig aufräumte und Staub wischte. Insgesamt hielt er aber selbst alles weitgehend in Ordnung, und den Garten verwandelte er immer mehr in ein Paradies. Die vielen kleinen Büsche und Bäume, die er gepflanzt hatte, waren inzwischen groß geworden und bildeten eine einzige, blühende, duftende Wildnis. Im Sommer konnte man vom Gartentor aus schon nicht mehr das Haus sehen. Aber im Winter schlangen sich Nebelschleier um die kahlen Äste, und die Nordseewellen brandeten dumpf und drohend gegen die Steilküste, und dann hatte ich immer Angst um ihn. Phillips Selbstmord im Jahr 1911 lag mir ein Leben lang auf dem Gemüt, und ich fürchtete, George werde sich eines Tages, von Einsamkeit und düsteren Gedanken überwältigt, zu dem gleichen Schritt entschließen.
Es beunruhigte mich, daß seine Bilder nie fröhlicher wurden. Zwanzig Jahre nach Kriegsende malte er noch immer die gleichen schwarzen Fratzen unter dunklem Himmel wie damals nach seiner Rückkehr. Fand denn seine Seele nie ihren Frieden? Ich mußte mich damit abfinden, daß er ein kranker Mann war, für den es keine Heilung gab.
Molly, seine geliebte Hündin, war 1925 gestorben, im Alter von siebzehn Jahren! George redete darüber kein Wort, zeigte keine Regung, was ich unheimlich fand. Einige Wochen nach ihrem Tod brachte ich ihm einen wuscheligen Welpen in einem Korb mit, aber George wollte ihn nicht haben. Also nahm ich ihn wieder mit und behielt ihn selbst. Er wurde ein schöner, großer Hund, der intelligenteste Hund, den ich je gekannt habe, und ein überaus treuer Kamerad. Er wäre genau richtig gewesen für George. Ich habe immer bedauert, daß es nicht funktioniert hat.
Von unserem Vater wäre zu berichten, daß er auf eine stille, melancholische Weise sein Leben lebte. Häufig besuchte er das Grab unserer Mutter und verharrte dort stundenlang. Ob er stumme Zwiesprache mit ihr hielt, oder ob er von vergangenen Zeiten träumte, Bilder aus den Jahren suchte, in denen sie beide jung und glücklich und vereint gegen den Rest der Welt gewesen waren, weiß ich nicht.
Einmal, an einem eisigkalten Februartag des Jahres 1929, kam er so lange nicht nach Hause, daß ich mir Sorgen machte und loszog, nach ihm zu suchen. Wie ich erwartet hatte, fand ich ihn auf dem Friedhof. Es war Abend, aber die Tage wurden bereits wieder länger, und über einen lichtblauen Himmel jagten lange, zerfetzte, dunkle Wolkenbänke. Vater saß auf einem Baumstumpf gegenüber von Mutters Grab. Wie kalt es war, schien er
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