Das Haus Der Schwestern
unwahrscheinliches Licht draußen.«
»Ich weiß. Ich habe es schon in der Küche gesehen.«
»Du hast nichts an den Füßen«, sagte er, »du solltest nicht auf den kalten Steinen stehen.«
Sie sah an ihren nackten Beinen herunter. Die Zehen krümmten sich unwillkürlich nach innen, um der Kälte zu entgehen, die den Fliesen entstieg.
»Ich gehe vielleicht besser nach oben«, meinte sie etwas beklommen. »Gute Nacht.« Sie sahen einander an.
Auf einmal wußte Barbara, warum sie geweint hatte. Sie hatte aus dem gleichen Grund geweint, aus dem Ralph hier stand und hinaussah in die Nacht. Irgendwann, heute, in der letzten Nacht oder in den vergangenen Tagen, hatten sie beide begriffen, daß es vorbei war. Sie fanden den Weg zueinander nicht mehr. Wahrscheinlich gab es ihn nicht mehr, und das schon seit langem. Sie hatten es nur nicht gemerkt oder nicht merken wollen. Nun traf sie die Erkenntnis wie ein Schlag, und beide kippten sie aus dem Gleichgewicht. Sie konnten sich nichts mehr vormachen, vor nichts davonlaufen in diesem eingeschneiten Haus, in dem sie buchstäblich festsaßen mit sich und allem, was zwischen ihnen nicht stimmte.
Sie wandte sich ab und ging die Treppe hinauf. Ihre Füße schmerzten vor Kälte. Nachdrücklich schloß sie ihre Zimmertür, kroch zähneklappernd unter ihre Decke. Die Wärme umfing sie tröstend wie eine Umarmung.
Ich will jetzt nicht nachdenken, sagte sie zu sich, ich will jetzt einfach über gar nichts nachdenken.
Das Papier raschelte in ihren Händen. Der etwas modrige Geruch des Holzschuppens hing zwischen den Seiten. Barbara empfand ihn als beruhigend. Sie suchte nach dem Blatt, das sie zuletzt gelesen hatte.
»Die goldenen Tage. Etwas von ihrem Glanz war zurückgekehrt.«
Sie blätterte weiter. Es folgte ein Papier, das nur die Beschriftung » 2. Teil« trug, und dann kam eine handschriftliche Eintragung von Frances Gray über mehrere Seiten. Die blaue Tinte war verblaßt in all den Jahren, die Schrift war krakelig. Barbara hatte Mühe, den Text zu entziffern.
»Es gelang mir während der zwanziger Jahre, die Farm wieder in Schwung zu bringen, und ich manövrierte sie sogar weitgehend unbeschadet durch die dreißiger, die geprägt waren von einer weltweiten Wirtschaftskrise . . .«
2. Teil
Es gelang mir während der zwanziger Jahre, die Farm wieder in Schwung zu bringen, und ich manövrierte sie sogar weitgehend unbeschadet durch die dreißiger, die geprägt waren von einer weltweiten Wirtschaftskrise. Die Pächter waren wieder zurückgekehrt, oder es waren neue gekommen, nachdem ich die Pacht drastisch gesenkt hatte; das hatte mir ja harsche Kritik von Victoria eingebracht, aber anders hätte ich keine Leute gewonnen, und was hätten wir dann gehabt von unseren Wiesen und Weiden? Als die Zeiten besser wurden, konnte ich die Pacht langsam wieder erhöhen, aber das tat keinem weh. Wir züchteten Schafe und Rinder und — im kleinen Stil — auch Pferde.
Pferde sind immer meine Leidenschaft gewesen, schon als kleines Mädchen, als John mir das Reiten beibrachte und wir zusammen über die Felder galoppierten. Ich liebte es, morgens in aller Frühe aufzustehen und zu den Pferdeställen zu fahren; sie waren neu gebaut worden, obwohl ich dafür einen Kredit bei der Bank hatte aufnehmen müssen, aber glücklicherweise ließ Vater mir ja völlig freie Hand. Von den Pferdepflegern war noch keiner auf den Beinen, wenn ich ankam. Die Pferde wieherten mir leise entgegen. Sie kamen sofort an die Türen ihrer Boxen, weil sie wußten, daß ich Äpfel und Mohrrüben mitbrachte. Sie bliesen mir ihren Atem gegen den Hals und versenkten ihre Nüstern mit den weichen, behutsamen Lippen in meinen Händen.
Nie war ich ruhiger, als wenn ich so da stand, gegen den mächtigen Leib eines Pferdes gelehnt, seinem Herzschlag lauschend. Tiere, so scheint es mir immer, sind ein wichtiger Teil dessen, woher wir kommen und wohin wir gehen werden. Mir haben stets die Menschen leid getan, die Tiere nicht verstehen können, und solche, die sie quälen, habe ich nur verachtet.
Ich mochte auch unsere Schafe und Rinder, stattliche Herden waren das. Wir verdienten viel Geld mit Wolle und mit dem berühmten »Wensleydale Cheese«. Neue Schafe kaufte ich auf dem Markt in Skipton, der dort jede Woche stattfand. Oft kaufte ich schwache, häßliche Tiere, die sonst keiner wollte und die ich für einen lächerlich geringen Betrag bekam; ich wußte jedoch, was ich tat. Ich hatte gute Leute. Aus jedem dieser
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