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Das Haus Der Schwestern

Das Haus Der Schwestern

Titel: Das Haus Der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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an.
    Entschlossen zog Ralph sie von ihrem Stuhl hoch und nahm ihren Arm. »Du gehst jetzt ins Bett«, bestimmte er, »und dieses verdammte Manuskript läßt du hier unten liegen. Das stundenlange Lesen bei schlechter Beleuchtung muß dich ja langsam ganz verrückt machen.«
    Oben ließ sie sich von ihm beim Ausziehen helfen, ohne daran zu denken, daß sie es seit langem vermied, von ihm unbekleidet gesehen zu werden. Sie streifte ein T-Shirt über und einen dicken Pullover, und als sie im Bett lag, deckte Ralph sie fürsorglich zu. Sie merkte, daß es ihr guttat, so umsorgt zu werden, obwohl sie sich früher immer gesträubt hatte, wenn ihre Mutter damit anfangen wollte.
    »Danke«, sagte sie leise.
    Er ging zur Tür. »Ich bin unten, wenn noch etwas ist«, sagte er und verließ das Zimmer.
    Nach einer Stunde merkte sie, daß sie keinen Schlaf fand. Vom Weinen war sie zunächst erschöpft gewesen, aber nun ergriff eine Unruhe von ihr Besitz, die mit jeder Minute schlimmer zu werden schien.
    Wahrscheinlich hat sich Ralph geirrt, dachte sie, während sie sich im Bett hin und her warf. Malventee dient überhaupt nicht zur Beruhigung, sondern ist das reinste Aufputschmittel.
    Sie knipste probeweise am Lichtschalter, aber die Elektrizität funktionierte immer noch nicht. Also tastete sie auf dem Nachttisch herum, bis sie Streichhölzer gefunden hatte und die Kerzen in dem Leuchter anzünden konnte. Sie schaute auf ihre Uhr. Es war kurz nach zehn. Viel zu früh für eine Nachtschwärmerin wie sie.
    Sie dachte an die Papiere, die unten auf dem Küchentisch lagen. Auch wenn Ralph gemeint hatte, das stundenlange Lesen sei für den schlechten Zustand ihrer Nerven verantwortlich, so war sie sich doch im klaren, daß schlafloses Herumwälzen im Bett sicher keine Hilfe für sie war. Es war Ralph sowieso von Anfang an ein Dorn im Auge gewesen, daß sie Frances’ »Tagebuch«, wie er es nannte, las. Aber es war kein Tagebuch! Und von den Personen lebte ohnehin niemand mehr!
    Es juckte sie in allen Fingern, sich den zweiten Teil der Aufzeichnungen zu holen und zu lesen. Schließlich stand sie auf. Sie würde hinunterschleichen, vielleicht merkte Ralph nichts. Zwar hätte sie sich keine Vorschriften von ihm machen lassen, aber sie mochte im Augenblick auch keine Diskussionen mit ihm führen. Er war vorhin sehr liebevoll zu ihr gewesen. Eigenartig, daß es ein bißchen weh tat, daran zu denken.
    Vorsichtshalber nahm sie keine Kerze mit, denn der Lichtschein hätte Ralph unweigerlich aufmerksam gemacht. Im dunklen, eiskalten Treppenhaus stehend, brauchte sie eine ganze Weile, bis sich ihre Augen soweit an die Dunkelheit gewöhnt hatten, daß sie die Treppe hinunterhuschen konnte. Zweimal knarrten die Stufen, aber sonst blieb alles still. Vielleicht, überlegte sie, schläft Ralph ja längst.
    In der Küche fand sie sich ohne Schwierigkeiten zurecht. Das Mondlicht fiel durch die Fenster, beleuchtete die leeren Brandygläser auf dem Tisch, die Teller mit den Brotkrümeln, die Teekanne. Schwach glomm die Glut im Herd. Barbara sammelte die Seiten zusammen und verließ die Küche so leise, wie sie gekommen war.
    Als sie den Flur durchquerte, blickte sie unwillkürlich durch die geöffnete Tür ins Eßzimmer und blieb abrupt stehen.
    Sie sah Ralph.
    Genaugenommen nur seine Silhouette vor dem Hintergrund des kalten Lichtes, das von draußen hereindrang. Er stand am Fenster und wandte ihr den Rücken zu. Sie wußte nicht, ob er sie nicht bemerkt hatte oder ob es ihm gleichgültig war, daß sie hier unten herumschlich. Er stand unbeweglich und starrte hinaus, und etwas in seiner Haltung — seine leicht nach vorn gezogenen Schultern, die Anspannung in seinen Gliedern? — verriet seine Einsamkeit. In einem wortlosen Gefühlsaustausch zwischen ihnen beiden, wie sie ihn nie erlebt hatten, nicht einmal in ihren besten, verliebten Jahren, konnte Barbara spüren, wie allein er war und wie ihn sein Alleinsein schmerzte. Sie tat einen hastigen, erschrockenen Atemzug, und Ralph wandte sich um. Er wirkte nicht überrascht, vermutlich hatte er sie vorher bereits doch gehört.
    »Kannst du nicht schlafen?« fragte er.
    Sie hielt das Manuskript in die Höhe und verzog entschuldigend das Gesicht.
    »Nein. Ich brauche etwas zu lesen.«
    Er nickte. »Das hilft manchmal. Wenn man nicht schlafen kann, meine ich.«
    »Gehst du auch bald ins Bett?«
    »Ja. Aber es ist noch nicht spät.« Er machte eine Kopfbewegung zum Fenster hin. »Es ist ein

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