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Das Haus Der Schwestern

Das Haus Der Schwestern

Titel: Das Haus Der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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die grauen Strähnen in seinen Haaren mit derselben Gnadenlosigkeit, mit der sie morgens im Bad ihre eigenen begutachtete.
    »Mit dem Alter wächst das Gefühl, nur noch wenig Zeit zu haben«, sagte sie, »aber es wächst auch die Entschlossenheit, nichts mehr zu tun, was man nicht wirklich will. Wir hatten gute Zeiten, John. Wie die Zukunft aussehen soll, muß ich noch herausfinden.«
    John streckte noch einmal die Hand aus, berührte jedoch nur flüchtig Frances’ Wange. »Dich bekomme ich nie ganz«, sagte er leise, »so war es früher, so ist es jetzt. So wird es immer sein.«
    »Frances, ich kann nicht schlafen«, sagte eine Kinderstimme von der Tür her.
    Frances fuhr zusammen. Marjorie war hereingekommen, barfuß, mit einem Schlafanzug bekleidet. In der Hand hielt sie einen etwas zerrupft wirkenden Teddy, dem ein Bein und ein Auge fehlten.
    »Marjorie! Ich dachte, ihr seid im Bett!«
    »Laura ist im Bett. Sie schläft wie ein Wolf«, sagte Marjorie. »Ich kann nicht einschlafen.« Sie musterte John neugierig von Kopf bis Fuß, dann glitt ihr Blick zu Charles hin, der ihr eigenartig vorkommen mußte, wie er da in voller Bekleidung auf dem Bett lag und mühsam atmete.
    »Wer ist das?«
    »Das ist mein Vater. Charles Gray. Er ist leider sehr krank. John und ich haben ihn gerade hier heraufgebracht.«
    Sie fragte sich, wie lange die Kleine da schon stand. Hatte sie sich bewußt angeschlichen? Oder hatten sie sie einfach nicht gehört?
    Sie zwang ihre Verwirrung nieder und stellte die beiden einander vor. »John Leigh, unser Nachbar. John, das ist Marjorie Selley. Eines der beiden Mädchen aus London.«
    »Guten Tag, Marjorie«, sagte John.
    »Guten Tag, Sir.«
    Bildete es sich Frances ein, oder lag tatsächlich etwas Lauerndes in Marjories Stimme, in ihrem Blick? Wahrscheinlich sah sie Gespenster.
    »Marjorie, du solltest dich wenigstens hinlegen. Es tut dir auf jeden Fall gut, dich auszuruhen, selbst wenn du nicht schläfst. John, wir gehen hinunter und sagen Adeline Bescheid. Sie muß sich um Vater kümmern.«
    »Ich kann nicht schlafen«, beharrte Marjorie und fixierte unablässig John.
    Dieses Mädchen wird mir Ärger machen, dachte Frances.
    Laut sagte sie: »Ich möchte, daß du dich hinlegst, Marjorie. Notfalls nimmst du dir ein Buch und liest, wenn du wirklich nicht schlafen kannst. Du hast eine Menge Strapazen hinter dir, und ich bin hier für dich verantwortlich, verstehst du?« Und du tust, was ich dir sage, fügte ihr Gesichtsausdruck hinzu.
    Marjorie verstand. Sie seufzte übertrieben und trollte sich mitsamt ihrem Teddy. Der Blick ihrer Augen verhieß nichts Gutes.
    »Sie mag mich nicht«, sagte Frances, »das habe ich schon am Bahnhof gemerkt. Es ging gleich etwas Feindseliges von ihr aus.«
    »Ich glaube, du bildest dir etwas ein«, meinte John. »Sie ist ein kleines Mädchen! Weshalb sollte sie feindselig sein? Sie ist einfach verstört, alles hier ist neu und fremd für sie!«
    »Sie hat uns gesehen, John«, sagte Frances, »sie hat gesehen, wie du mich umarmt hast, und sie hat gehört, was wir gesprochen haben. Ich konnte es ihr ansehen.«
    »Und wenn schon! Glaubst du im Ernst, sie kann sich daraus etwas zusammenreimen? Frances, ich weiß ja, daß du Kinder nicht besonders magst, aber du mußt auch keine Monster in ihnen sehen!«
    Nebeneinander gingen sie die Treppe hinunter. Unten standen Adeline, Victoria und Marguerite. Victoria hielt sich im Hintergrund und war von der Situation, ihren Noch-Ehemann zum ersten Mal seit Wochen wiederzusehen, offenbar nervlich völlig überfordert, denn sie wurde abwechselnd rot und blaß.
    John sagte freundlich: » Oh — guten Tag, Victoria!«, worauf sich Victoria umdrehte und im Wohnzimmer verschwand.
    »Was ist denn los?« fragte Marguerite. Sie war noch immer sehr bleich.
    »Meine Frau ist zur Zeit nicht besonders gut auf mich zu sprechen«, sagte John.
    »Wie geht es Mr. Gray?« wollte Adeline wissen. »Ich sollte vielleicht einmal nach ihm sehen!«
    »Das wäre nett, Adeline!« Es war Frances peinlich, daß man nun aus dem Wohnzimmer deutlich Victorias Schluchzen hören konnte.
    Daß sie sich nicht einmal zusammennehmen kann, dachte sie gereizt, sie sollte sich wirklich eine Scheibe von Marguerite abschneiden!
    Adeline schien einen Moment lang unschlüssig, ob sie zuerst nach »dem Kind« sehen sollte oder nach Mr. Gray, aber sie entschied sich, nach oben zu gehen.
    Als sie verschwunden war, wandte sich Frances an Marguerite.
    »Der Regen wird immer

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