Das Haus Der Schwestern
Anfang an nicht gerade begeistert, aber es gab keinen anderen Ausweg, und bis gestern schien die Wetterlage immer besser zu werden. Aber nun sah es auf einmal wieder bedrohlich aus, und Barbara war voller Furcht, wenn sie an den langen Tag dachte, der vor ihr lag — sie selbst war geborgen und sicher in dem warmen Haus, und Ralph irgendwo da draußen in der Schneewüste, auf seinen Orientierungssinn angewiesen, er, der Großstadtmensch, der kaum mit einem Kompaß hätte umgehen können, selbst wenn er einen besäße.
Immerhin, behauptete er, habe er eine ungefähre — was hieß ungefähr in diesem Fall? fragte sich Barbara — Ahnung, in welcher Richtung die große Hauptstraße lag. Wenn er die erreichte, war alles in Ordnung. Zum einen war sie, laut Cynthia Moore, freigeräumt, und es kam vielleicht sogar ein Auto vorbei, das ihn mitnahm. Und zudem war es dann egal, in welche Richtung er sich wandte, selbst wenn er nicht genau in Leigh’s Dale herauskommen würde. Entlang der Straße gab es mehrere Dörfer, im schlimmsten Fall müßte er ein Stück marschieren. Allerdings ...
»Der Rückweg«, sagte Barbara besorgt, »wird gemein.«
Immer bergauf, durch meterhohen Schnee. Und dann würde es auch nicht mehr darum gehen, auf eine Straße zu treffen, auf die man an irgendeiner Stelle fast zwangsläufig stoßen mußte. Auf dem Rückweg mußte er Westhill finden — ein einzelnes, einsames Haus.
»Ich werde es schon schaffen«, sagte Ralph.
»Versprich mir eines«, bat Barbara. »Wenn du zu spät im Dorf ankommst und es bereits anfängt, dunkel zu werden, dann mach dich um Gottes willen nicht mehr auf den Rückweg! Du kannst sicher dort übernachten. Bis morgen verhungere ich schon nicht, und es ist in jedem Fall sicherer, du versuchst die Strecke bei Tageslicht zu bewältigen.«
»Versprochen«, sagte Ralph.
Er vergewisserte sich, daß sein Rucksack richtig saß. Er brauchte ihn für die Einkäufe; vorläufig befanden sich nur sein Geldbeutel, eine Taschenlampe und eine Thermoskanne mit heißem Tee darin.
» Laß dir irgendwo frischen Tee machen für den Heimweg«, sagte Barbara.
Sie kam sich vor wie eine Gluckenmutter, die ihr Kind mit tausend Ermahnungen auf den Schulweg schickt. Ralph war kein Kind. Aber dies war auch kein Schulweg. Es war ein einziger Härtetest — für einen Mann, der ein hervorragender Anwalt war, aber ein mäßiger Sportler und auch als Skiläufer nur durchschnittlich, der nie ein irgendwie geartetes Ausdauertraining absolviert hatte und auch nicht über eine aufsehenerregende Kondition verfügte.
Er küßte sie auf die Wange, seine Lippen fühlten sich kalt an. Sie sah ihm nach, wie er etwas unbeholfen auf seinen Skiern davonstakste, oder besser: sich durch die Schneeberge vorwärts kämpfte und wühlte. Das hier war keine schöne, glatte Abfahrt wie im Winterurlaub. Seine schlaksige Gestalt verschwand rasch im Nebel und in der Düsternis des Tages.
Als sie nichts mehr von ihm zu erkennen vermochte, wandte sie sich um und trat wieder ins Haus, das sie hell und freundlich willkommen hieß.
Ganz langsam wurde es warm. In den Heizungsrohren gluckerte und rumorte es. Barbara hatte sich noch einen Kaffee gemacht und saß im Wohnzimmer mit dem Rücken an die Heizung gelehnt, immer noch im Bademantel, faul und fast entspannt, die Gedanken an all die Gefahren, die auf Ralph lauerten, verdrängend. In kleinen Schlucken trank sie den heißen Kaffee. Die Wärme floß durch ihren ganzen Körper, wie ein kraftvoller, lebensspendender Strom. Wenn sie die Augen schloß, sah sie Ralph vor sich, der zurückkehrte und auf dem Küchentisch seinen Rucksack auspackte. Was er wohl mitbringen würde?
Sie würden zusammen in der warmen Küche stehen und eine wunderbare Mahlzeit kochen, und dann würden sie den Tisch im Eßzimmer decken, mit einer weißen Tischdecke und gutem Porzellan, und vielleicht würden sie auch ein Kaminfeuer anzünden; aber das diente dann nur der Gemütlichkeit, war nicht mehr der einzige Wärmespender, um den sie sich wie frierende Katzen scharen mußten. Vielleicht brachte er sogar eine Flasche Wein mit. Sie würde essen, bis sie ...
Ihr Magen knurrte laut und vernehmlich. Der Gedanke an Essen hatte ihn sich wieder schmerzhaft zusammenkrampfen lassen. Barbara öffnete die Augen. Noch ein paar Minuten, und ihr würde der Speichel aus dem Mund tropfen wie einem Hund. Bis zum Abend mußte sie sich irgendwie ablenken.
Es war elf Uhr. Der Tag draußen schien nicht wirklich hell
Weitere Kostenlose Bücher