Das Haus Der Schwestern
werden zu wollen. Die tief hängenden grauen Wolken hüllten die Landschaft in einen diffusen, lichtschluckenden Dunst. Und sie versprachen Schnee, jede Menge Schnee.
Darüber denke ich jetzt nicht nach, befahl sich Barbara, noch schneit es ja nicht!
Sie ging hinauf ins Bad, ließ heißes Wasser in die Wanne laufen. Sie suchte in dem Schränkchen über dem Waschbecken herum und fand ein altmodisches, mit einem Korken verschlossenes Glas, in dem sich Rosmarinbadesalz befand. Sie schüttete ausgiebig davon ins Wasser, betrachtete zufrieden den Schaum, der sich bildete. Nach all den Entbehrungen der vergangenen Woche erschien ihr dieses Bad, dieser herrliche Geruch wie ein ungeheurer Luxus.
Als sie sich in das Wasser gleiten ließ, atmete sie tief und behaglich durch. Das Gute an solch unvorhergesehenen problematischen Situationen wie der, in die sie hineingeraten waren, lag in der neuen Einstellung, die man — zumindest für eine kurze Zeit — zu eigentlich banalen Dingen fand. Ein heißes Bad hatte früher zu den schlichtesten Alltäglichkeiten in ihrem Leben gehört. Ohne das Mißgeschick, hier in Nordengland einzuschneien, hätte sie nie herausgefunden, welches Glücksgefühl ein solches Bad vermitteln konnte.
Mit geschlossenen Augen und völlig entspannt blieb sie liegen, bis das Wasser anfing kühl zu werden. Während sie sich abtrocknete, betrachtete sie sich im Spiegel. Es entzückte sie zu sehen, wie deutlich ihre Hüftknochen hervorstanden, wie tief eingesunken ihr Bauch dazwischen lag. Wie die meisten Menschen, die einmal unter Übergewicht gelitten haben, konnte sie sich an ihrer Schlankheit berauschen. Ihre Bauchdecke fühlte sich hart und fest an.
»Sehr gut«, sagte sie befriedigt.
Sie wusch sich noch die Haare, fönte sie trocken. Endlich fühlte sie sich wieder sauber und gepflegt. Im Haus war es jetzt warm genug, sie mußte nicht länger mehrere Lagen Kleidung übereinanderziehen, nur um nicht vor Kälte zu schlottern. Sie schlüpfte in schwarze Leggings und ein Sweatshirt und hüpfte leichtfüßig die Treppe hinunter. Es war jetzt fast ein Uhr. Als sie das Wohnzimmer betrat, sah sie, daß es draußen schneite.
Die ganze Zeit über hatte sie nicht darauf geachtet, nun traf es sie wie ein Schlag. Zwar fielen die Flocken nicht allzu dicht, es war eher ein leichtes Geniesel, aber es war ein Anfang. Es konnte schlimmer werden.
»Oh, verdammt«, murmelte sie.
Sie lief zum Telefon. Auf dem Block, der daneben lag, stand noch Cynthia Moores Telefonnummer gekritzelt, die Ralph dort am Vorabend notiert hatte. Barbara wählte und wartete. Die Entspanntheit, die sie nach dem Bad empfunden hatte, war nun verschwunden. In ihren Armen und Beinen kribbelte es vor Nervosität.
Cynthia meldete sich mit atemloser Stimme. »Ja?«
»Cynthia? Hier ist Barbara. Von der Westhill Farm, Sie erinnern sich bestimmt.«
»Natürlich. Hallo, Barbara! Wie geht es Ihnen?«
»Ehrlich gesagt, nicht so gut. Ich mache mir Sorgen um meinen Mann. Ist er bei Ihnen aufgetaucht?«
»Hat er sich wirklich auf den Weg gemacht?« Cynthia klang etwas verwundert. »Ich meine — gestern abend habe ich ihm ja selbst noch dazu geraten, aber heute... Es schneit ja plötzlich wieder!« «
Barbara meinte, ihr müsse das Herz stehenbleiben.
»Er war nicht davon abzubringen«, sagte sie. »Und nun bin ich sehr unruhig.«
»Ich finde, Sie sollten sich nicht aufregen«, meinte Cynthia. Sie hatte ihre alte Munterkeit wiedergefunden. » Bis hierher schafft er es auf jeden Fall. Und dann werde ich ihm mein Gästezimmer anbieten zum Übernachten und ihn erst morgen früh auf den Heimweg schicken. Halten Sie es noch eine Nacht ohne Lebensmittel aus?«
»Natürlich. Darauf kommt es nun auch nicht mehr an. Ich will nur auf keinen Fall, daß ihm etwas zustößt.«
»Das wird es nicht. Ich sorge dafür.«
»Wissen Sie«, sagte Barbara, »das Problem ist, ich weiß nicht, ob er wirklich bei Ihnen ankommt. Er versucht, die Straße nach Askrigg zu erreichen und sich dann zum nächsten Ort durchzuschlagen — falls er Leigh’s Dale verpaßt. Er könnte dann auch in Askrigg landen oder ...«
»... oder in Newbiggin oder Woodhall. Trotzdem, bei den wenigen Läden, die dann für ihn zum Einkaufen in Frage kommen, kann ich anrufen. Ich kenne die Leute. Ich werde ihnen sagen, sie sollen ihn nicht weglassen.«
Barbara fühlte sich ein wenig besser nach dem Gespräch, aber nicht wirklich beruhigt. Sie kannte Ralph. Es würde ihn verrückt machen zu
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