Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus Der Schwestern

Das Haus Der Schwestern

Titel: Das Haus Der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
Vom Netzwerk:
schnappen.
    »Mein Gott!« sagte sie.
    Adeline deckte den Mann wieder zu. »Das hat sich böse entzündet. Er glüht vor Fieber.«
    »Ja, aber warum holt ihr keinen Arzt?« rief Frances. »Warum verriegelt ihr euch hier mit ihm und laßt ihn einfach so liegen?«
    Die drei anderen schwiegen einen Moment. Dann sagte Adeline: »Er redet im Fieber. Darum wissen wir — er ist kein Engländer.«
    »Nein?«
    »Er ist Deutscher«, sagte Victoria.
    Frances starrte den Mann an. Er trug Zivilkleidung: eine helle Hose, ein blaues Hemd. Am linken Handgelenk hatte er eine Uhr, deren Zifferblatt zersprungen war. Eine französische Marke, wie Frances feststellte.
    »Seid ihr sicher?«
    »Ich habe in der Schule ein bißchen Deutsch gelernt«, sagte Victoria, »ich bin sicher.«
    Alle sahen auf den Mann hinunter. Er bewegte sich unruhig hin und her. Unter der Haut zuckten Nerven in seinem Gesicht. Er öffnete die Augen. Sie waren dunkel und hatten einen unnatürlichen Glanz.
    »Wasser«, murmelte er auf deutsch.
    »Was hat er gesagt?« fragte Frances.
    »Er möchte Wasser«, sagte Victoria.
    Sie griff bereits nach der Tasse, die neben dem Bett stand, hob den Kopf des Verletzten ein wenig an und flößte ihm vorsichtig ein paar Schlucke Wasser ein. Der Mann trank gierig, aber mühsam. Er sank in sein Kissen zurück und fiel sofort wieder in einen unruhigen Schlaf. Er stöhnte etwas, das niemand verstand. Es waren auf jeden Fall keine englischen Worte.
    »Und du bist wirklich sicher, daß er Deutscher ist?« « fragte Frances, weil ihr nach und nach die Konsequenzen klar wurden.
    »Ich bin sicher, daß er deutsch spricht «, entgegnete Victoria, »und ich nehme an, im Fieberwahn verfällt ein Mensch in seine Muttersprache, oder?«
    »Hat er Papiere bei sich?«
    »Nein. Nur das hier.« Adeline zog eine Pistole aus ihrer Schürzentasche und reichte sie Frances. »Die steckte in seinem Gürtel.«
    »Wann hast du ihn gefunden, Laura?«
    »Heute vormittag. Ich war ... es ging mir nicht so gut ... wegen Marjorie und so ... Ich wollte allein sein und lief einfach los, ich wollte nicht an einen bestimmten Ort; aber irgendwann merkte ich, daß ich in der Nähe von Bolton Castle war. Ich ging quer über die Schafweiden ... und aus einem der kleinen Ställe hörte ich plötzlich ein Wimmern. Ich dachte, da ist vielleicht ein verletztes Tier, und ging hinein, um nachzusehen. Da lag er, in einer Ecke, auf ein paar Strohballen. Er sah entsetzlich aus und schien rasende Schmerzen zu haben. Ich ...«, Laura stockte, »ich war erschrocken und wollte im ersten Moment weglaufen, aber er rief, ich solle bleiben. Er brauche Hilfe.«
    »Da sprach er englisch?«
    »Ja. Aber er war auch noch klarer als jetzt. Er hatte wohl schon Fieber, aber er war noch nicht verwirrt. ›Ich bin schwer verletzt‹, sagte er, ›können Sie mir helfen?‹ Ich sagte, er solle liegenbleiben, ich würde einen Arzt holen, aber er flehte, das solle ich auf keinen Fall tun. ›Keinen Arzt‹, rief er immer wieder, ›keinen Arzt!‹. Ich sagte, ich wisse nicht, was ich sonst tun solle, und er meinte, ob ich ihn nicht mitnehmen und daheim für einen Tag aufnehmen könne. Er brauche nur ein Bett für eine Nacht, sagte er, und etwas zu essen und zu trinken, dann könne er morgen schon weiterziehen.«
    »Da dürfte er sich aber gründlich täuschen«, bemerkte Adeline trocken.
    »Es war furchtbar, ihn bis hierher zu schleppen«, sagte Laura.
    Frances fiel nun auf, wie erschöpft das Mädchen aussah. Kein Wunder! Laura mußte halb tot sein, wenn sie diesen großen, kräftigen Mann von Bolton Castle bis hierher gestützt hatte.
    »Er hing auf meiner Schulter, und mit jedem Schritt schien er schwerer zu werden. Es ging ihm immer schlechter. Sein Fieber stieg, und er fing an, in einer fremden Sprache zu reden. Manchmal fiel er hin. Ich wußte kaum, wie ich ihn wieder auf die Beine stellen sollte.« In der Erinnerung an die stundenlangen Mühen stiegen Laura die Tränen in die Augen. »Er war so schrecklich schwer! Und dann dachte ich auch noch dauernd, er stirbt womöglich, irgendwo mitten auf einer Schafweide, und ich bin dann schuld, weil ich nicht doch einen Arzt geholt habe. Aber ich hatte den Eindruck, daß er in Panik geriet, wenn ich von einem Arzt sprach, und ...« Hilflos hob sie beide Hände, ließ sie wieder sinken.
    »Du hast alles ganz richtig gemacht, Laura«, sagte Frances, »und ich muß sagen, ich bin stolz auf dich. Einen schwerverletzten Mann von Bolton Castle bis

Weitere Kostenlose Bücher