Das Haus Der Schwestern
hierher zu schleppen — ich wüßte kaum jemanden, der das durchhalten könnte!«
Laura errötete vor Glück. Ihre Hände zupften verlegen am Saum ihres Kleides herum.
»Er hat wahrscheinlich allen Grund, sich verstecken zu wollen«, murmelte Frances.
Victoria sah sie an. »Nur weil er ein Deutscher ist? Er könnte doch auch ein Flüchtling...«
Frances schüttelte den Kopf. »Da steckt mehr dahinter. Wer sich mit einer so schlimmen Verwundung in einen Schafstall zurückzieht, anstatt Hilfe zu suchen, der hat irgend etwas zu befürchten. Zudem läuft er mit einer geladenen Pistole herum. Das ist kein harmloser Flüchtling.«
»Glaubst du, er... er ist ein Nazi?« fragte Victoria und riß die Augen auf.
Frances zuckte mit den Schultern. »Wir werden ihn fragen, wenn man wieder mit ihm reden kann. Bis dahin, denke ich, respektieren wir seinen Wunsch und sagen niemandem etwas.«
»Und wenn er uns alle nachts erschlägt?« Victoria sah sich offenbar schon in ihrem Blut liegen.
»Unsinn!« sagte Adeline ärgerlich. »Der könnte im Moment nicht einmal eine Fliege töten! Ich werde ihm seine Wunde reinigen und ihm einen Tee kochen, der sein Fieber senkt.« Geschäftig eilte sie aus dem Zimmer.
»Vor allem werden wir unten die Haustür wieder öffnen«, sagte Frances, »sonst merkt nämlich jeder sofort, daß hier etwas nicht stimmt. Ich werde jetzt diese Waffe in meinem Zimmer verstecken, und dann ziehe ich mich um. Die Reise war wirklich anstrengend. «
Sie wollte zur Tür gehen, doch Laura zupfte sie schüchtern am Ärmel. »Wie war es in London?« fragte sie. »Wie... wie geht es Marjorie?«
»Oh, ich denke, es geht ihr gut. Euer Vater hat sich sehr gefreut, sie zu sehen. Er ...« Sie zögerte, aber irgendwann mußte Laura erfahren, daß Hugh wieder geheiratet hatte, sie konnte es ihr ebensogut auch gleich sagen. »Er hat wieder geheiratet, stell dir vor!«
Laura blieb der Mund offen stehen. »Was?«
»Ja, wir waren auch sehr überrascht. Aber im Grunde ist es nicht schlecht. Marjorie ist in einem Alter, in dem sie eine weibliche Bezugsperson braucht.«
»Wie ist sie?«
»Wer?«
»Daddys... neue Frau.«
Frances entschloß sich zu einer barmherzigen Lüge. »Sympathisch. Eine einfache, nette Frau.«
Laura starrte sie an, dann rannte sie aus dem Zimmer. Man konnte eine Tür schlagen hören.
»Denkst du nicht, man hätte ihr das schonender beibringen können?« fragte Victoria.
»Dann hätte ich sie jetzt erst einmal anlügen müssen, um dann später doch mit der Wahrheit herauszurücken. Ich habe schon genug geschwindelt. Hugh Selleys Frau ist eine asoziale Schlampe. Sie war entsetzt über Marjories Erscheinen. Ich bin ziemlich sicher, daß zwischen den beiden die Fetzen fliegen werden, aber Marjorie wollte es nicht anders.«
»Und dir kommt es auch entgegen.«
»Richtig«, sagte Frances kalt, »es kommt mir entgegen. Daß Marjorie und ich einander nicht mochten, ist wohl kein Geheimnis. «
Sie verließ das Zimmer, ehe Victoria noch etwas erwidern konnte. Die Pistole fühlte sich kalt und schwer in ihrer Hand an. Sie versteckte sie tief unter ihrer Wäsche in der Kommode. Danach fühlte sie sich ruhiger.
Das Fieber des Fremden stieg bis zum späten Abend noch weiter, trotz all der geheimnisvollen Tees, die Adeline ihm braute und einflößte. Er redete wirr und unverständlich; selbst Victoria konnte nichts davon mehr übersetzen. Sie saß die ganze Zeit neben ihm und betupfte seine Stirn mit kaltem Wasser. Adeline hatte ihn gewaschen, seine Wunde gereinigt und verbunden. Sie hatte seine Haare gekämmt und ihm einen Schlafanzug von Charles angezogen. Er sah nicht mehr so verwahrlost aus, aber es ging ihm sehr schlecht.
»Wenn sein Fieber bis morgen früh nicht gesunken ist, holen wir doch einen Arzt«, sagte Frances. »Ganz gleich, was dann geschieht. «
»Was könnte passieren?« fragte, Victoria.
»Ich weiß nicht. Da er solche Angst hatte, ist er ja vielleicht ein Spion. Keine Ahnung, was man mit denen tut.«
»Man hängt sie auf«, sagte Adeline, die gerade mit frischem Wasser ins Zimmer kam.
»Aber dann können wir keinen Arzt holen!« rief Victoria. »Wir können doch nicht zulassen, daß er aufgehängt wird!«
»Auf einmal so mitleidig? Vorhin hast du noch vermutet, er ist ein Nazi und erschlägt uns nachts in unseren Betten.«
»Aber vielleicht ist er kein Nazi.«
»Er ist ein Deutscher«, sagte Frances, »und vermutlich in feindlicher Mission unterwegs. Er arbeitet für Hitler.
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