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Das Haus Der Schwestern

Das Haus Der Schwestern

Titel: Das Haus Der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Wir sollten nicht zuviel Mitleid mit ihm haben.«
    »Vielleicht ist er so jemand wie dieser... wie hieß er? Rudolf Heß«, gab Victoria zu bedenken. »Vielleicht ist er auch hier irgendwo notgelandet und will Kontakt zu unserer Regierung aufnehmen. Rudolf Heß wurde auch nicht aufgehängt. Sie haben ihn nur gefangengenommen.«
    »So oder so, unter den Händen stirbt er mir jedenfalls nicht weg, das steht fest«, bemerkte Adeline resolut und näherte sich dem Bett. »Und jetzt macht Platz! Ich will mir sein Bein noch einmal ansehen. «
    Das Bein sah schlimm aus unter dem Verband, die Wunde eiterte noch heftiger als am Nachmittag.
    »Ich habe den Verdacht, daß das eine Schußverletzung sein könnte«, meinte Adeline, »rund wenn das stimmt, steckt die Kugel noch im Bein. Die muß raus, sonst ...«
    Sie ließ den Satz unvollendet, aber den beiden anderen war klar, daß es schlecht aussah für den Fremden, wenn die Kugel im Bein blieb.
    Frances stand entschlossen auf. »Ich fahre nach Aysgarth und hole den Doktor. Wir müssen ...«
    »Nein!« sagte Victoria.
    »Nichts überstürzen!« mahnte Adeline gleichzeitig.
    »Wir sollten ihm noch die Gelegenheit geben, uns alles zu erklären«, fügte Victoria hinzu.
    Frances wies auf den stöhnenden Mann. »Da sehe ich schwarz. Er stirbt wahrscheinlich heute nacht!«
    »Wir müssen die Kugel herausholen«, wiederholte Adeline. Sie und Victoria sahen Frances an.
    »O nein!« Frances hob abwehrend beide Hände. »Ich kann so etwas nicht! Ich tue so etwas nicht!«
    »Du hast doch in Frankreich im Lazarett gearbeitet«, erinnerte Victoria. »Du mußt doch Dutzende solcher Operationen gesehen haben!«
    »Ja, gesehen . Aber nicht selbst ausgeführt.«
    »Das fand doch dort auch unter den primitivsten Bedingungen statt«, sagte Adeline. »Das haben Sie jedenfalls immer erzählt. Die hatten keine besseren Instrumente zur Verfügung als wir hier. Und die hygienischen Verhältnisse waren sicher schlechter.«
    »Aber es waren Ärzte! Die wußten zumindest, was sie taten. Ich habe doch überhaupt keine Ahnung, wie das geht!«
    Sie sah den Mann an, dessen Wangen glühten. »Ich könnte ihn umbringen dabei!«
    »Ich schätze«, sagte Adeline, »er hat kaum etwas zu verlieren.«
    »Ich hole den Arzt«, sagte Frances noch einmal, und gleich darauf fluchte sie laut, weil sie wußte, sie würde es nicht fertigbringen, ihn einem ungewissen Schicksal auszuliefern.

    Gegen zwei Uhr in der Nacht fingen sie an, ihn zu operieren, wenngleich der Begriff Operation unter den gegebenen Umständen eher zynisch klang. Sie hatten ein Messer in kochendem Wasser sterilisiert, ganze Berge von Tüchern und Verbänden bereitgelegt. Victoria mußte eine Lampe über das Bett halten, denn weder die Decken-noch die Nachttischlampe spendeten genügend Licht. Victoria sah derart bleich um die Nase aus, daß Frances befürchtete, sie werde jeden Moment umkippen; aber sie konnte sie nicht einfach aus dem Zimmer schicken, denn Adeline brauchte sie, um nachher die Wundränder geöffnet zu halten. Sie hatten dem Patienten ein mit Äther getränktes Tuch über Mund und Nase gelegt, bis er in eine unruhige Betäubung gefallen war; aber vorsichtshalber hatten sie ihn auch noch mit mehreren Gürteln an Armen und Beinen am Bett festgebunden. Das verletzte Bein war gleich unterhalb der Hüfte abgebunden worden, um den Blutverlust so gering wie möglich zu halten.
    Die Ätherflasche stand griffbereit; Adeline hatte Anweisung, ihm ein frisch getränktes Tuch sofort erneut unter die Nase zu halten, falls er Anstalten machen sollte, aufzuwachen.
    Laura hatten sie von ihrem Vorhaben nichts erzählt. Sie lag in ihrem Bett und schlief.
    »Ein hysterisches junges Mädchen können wir hier nicht gebrauchen«, hatte Frances gesagt, aber inzwischen kamen ihr Zweifel, ob nicht Laura sogar beherrschter gewesen wäre als Victoria.
    »Wir sollten anfangen«, drängte Adeline.
    Frances dachte an die vielen Fohlen, denen sie auf die Welt geholfen hatte, an manche Assistenz bei der Behandlung verletzter Schafe.
    Stell dir vor, er ist ein Schaf oder ein Pferd, dachte sie, schloß für eine Sekunde die Augen, öffnete sie wieder, setzte das Messer an und machte einen entschlossenen, tiefen Schnitt, den Widerstand ignorierend, den dieses feste, junge Gewebe leistete.
    Die Betäubung war zu schwach gewesen. Er brüllte so entsetzlich, daß die Hunde unten im Haus entsetzt aufjaulten, ein Vogel draußen schrille Warnschreie auszustoßen begann und die

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