Das Haus Der Schwestern
schlimm«, sagte er dann, »ich glaube, es wird ein Weltuntergang.«
»Wie gut, daß Sie hier in Sicherheit sind«, meinte Victoria inbrünstig.
Er lachte gequält. »Ach, Victoria, das verstehen Sie wahrscheinlich nicht. Da ist es ja gerade, was mich nachts nicht schlafen läßt. Meine Mutter und meine Schwester sind drüben. Wissen Sie, Deutschland hat diesen Krieg gewollt. Wir tragen die Schuld. Und doch ist es mein Land . Mein Land, das vor dem Zusammenbruch steht. Das kann ich nicht vergessen. Und ich sitze hier... und tue nichts. Nichts !«
Es wurde Dezember, und Peter wurde immer deprimierter. Seine Höflichkeit, seine Freundlichkeit blieben unverändert, aber es schien ihm immer schwerer zu fallen, ein fröhliches Gesicht zu zeigen. Er vergrub sich oft in die Bücher, die im Wohnzimmer standen, Klassiker zumeist, und schien einen gewissen Trost darin zu finden. Zweimal war er drauf und dran, Westhill zu verlassen; irgendwie werde er sich nach Frankreich durchschlagen, sagte er, und dann nach Deutschland zurückkehren. Aber die vier Frauen redeten so lange auf ihn ein, bis er nachgab. Wie er denn, um alles in der Welt, den Kanal überqueren wolle? Passagierschiffe gebe es ja gar nicht mehr, schon wegen der U-Boote. Ein Marineschiff? Ohne Papiere?
»Und vergessen Sie’s, falls Sie vorhaben, in einem Fischerkahn hinüberzuschippern«, warnte Frances. »Auf See herrschen jetzt die Winterstürme. Falls Sie nicht erschossen werden, ertrinken Sie.«
Er begriff, daß sie recht hatte, aber seine Unruhe wuchs, und es war Frances klar, daß sie ihn nicht mehr lange würden halten können. Irgendwann würde er die Untätigkeit nicht mehr ertragen, würde selbst das Risiko, zu sterben, auf sich nehmen, weil es ihm besser erschien als die Aussicht, auf einer abgelegenen Farm in Nordengland in Seelenruhe das Ende des Krieges abzuwarten — was nach seinen düsteren Prognosen das Ende der Welt sein würde, die er kannte.
Weihnachten kam, und sie alle hatten beschlossen, ihm dieses Fest besonders schön zu machen. Er hatte ihnen von der Tradition des deutschen Heiligen Abends erzählt, den man in England, wo die Bescherung am Morgen des 25. Dezembers stattfand, so nicht kannte. Nun aber schmückten sie die kleine Tanne, die er geschlagen hatte, am 24. Dezember, und Adeline kochte ein Festessen — trotz der Rationierungen, die sich auch auf dem Land immer stärker bemerkbar machten. Sie hatte genug Zutaten für einen gewaltigen Plumpudding gehortet, und natürlich gab es einen Truthahn, viele Salate und jede Menge Süßigkeiten.
Peter war gerührt. »Sie hätten nicht Ihre Traditionen ausgerechnet zugunsten eines deutschen Brauchs aufgeben sollen!« sagte er.
»Sicher denken Sie heute abend besonders stark an Ihre Mutter und Ihre Schwester«, sagte Victoria leise. »Wir wollten es Ihnen ein bißchen leichter machen.«
Frances hatte zunächst vorgeschlagen, an diesem Abend keine Nachrichten zu hören, aber dann scharten sie sich irgendwann doch um das Radio. Der Sprecher berichtete von der verzweifelten Lage, in der sich Hitlers Sechste Armee in Stalingrad befand; eingekesselt in einer zerstörten Stadt, dem Tod durch Hunger und Kälte preisgegeben. Hitler verweigerte die Kapitulation.
»Damit bringt er sie um, Mann für Mann«, sagte Peter mit versteinertem Gesicht.
Er merkte nicht, daß ihm wieder seine Haarsträhne in die Stirn fiel. Er sah jung und eigenartig verletzbar aus. Laura starrte ihn so verzückt an, als sei ihr in ihm der Heilige Geist erschienen.
»Niemand läßt eine ganze Armee sterben«, widersprach Frances, »nicht einmal Hitler!«
Peter schüttelte den Kopf. »Er wird nicht umkehren. Er wird anfangen, Amok zu laufen.«
Die Kerzen am Baum flackerten. Victoria sprang auf. »Für heute will ich nichts mehr vom Krieg hören!« rief sie, »Und nichts mehr von Hitler! Wir sollten endlich mit der Bescherung beginnen.«
Draußen schneite es, und im Kamin brannte ein Feuer. Frieden senkte sich über das Haus, nachdem die Stimme aus dem Radio verstummt war. Einträchtig saßen sie alle zusammen und packten ihre Geschenke aus. Victoria hatte Peter ein Buch geschenkt.
»Gedichte von Robert Burns«, las er. »Wie wunderbar. Danke, Victoria!«
Victoria trug ein schwarzes Samtkleid, über dem ihre blonden Haare wie flüssiger Honig schimmerten. Sie hatte rote Wangen und sah so jung und entspannt aus wie schon lange nicht mehr.
»Es sind Liebesgedichte«, sagte sie.
Er lächelte. »Und Sie haben mir
Weitere Kostenlose Bücher