Das Haus Der Schwestern
eine Wut, die sie erschreckte. Sie forschte in sich nach der Ursache für eine so heftige Reaktion; aber sie kam nicht dahinter, ob der Grund in ihrem lebenslangen Neid auf Victorias Schönheit lag oder ob sie selbst Peter zu intensiv als Mann wahrnahm. Es lag Ewigkeiten zurück, seitdem ein Mann sie berührt hatte. Aber sowie ihre Gedanken in diese Richtung gingen, gebot sie ihnen sofort Einhalt. Sie würde sich nicht als Dritte in den lächerlichen Wettstreit zwischen Victoria und Laura einreihen. Fehlte nur noch, daß die achtzigjährige Adeline in den Ring stieg. Sollten sie alle durchdrehen?
Sie beschloß, daß ihre Gefühle von der alten Feindschaft zwischen ihr und Victoria herrühren mußten; eine andere Möglichkeit würde sie nie akzeptieren.
Und dann kam der 7. April 1943. Ein klarer, warmer Frühlingstag. Wie ein schaumiger, gelber Teppich hatten sich die Narzissen über die Wiesen gebreitet, wurden vom leichten Wind in einem zarten Wellenspiel bewegt. Dazwischen Schafe und Lämmer, wohin man blickte. Am Himmel zeigte sich nicht eine einzige Wolke.
Am späten Vormittag kam Laura, die wie immer morgens zum Unterricht nach Daleview gegangen war, aufgeregt nach Hause gelaufen. Sie mußte den ganzen Weg gerannt sein, denn sie war völlig außer Atem. Ihr Kleid hing wie ein riesiger Sack an ihr, obwohl Adeline es schon zweimal enger gemacht hatte. Nichts schien ihren langsamen Hungertod aufhalten zu können. Ihre Augen wirkten riesig in dem spitzen Gesicht.
»Bei Marguerite geht es los!« verkündete sie. »Sie bekommt ihr Baby!« «
Sie war mit der Nachricht ins Wohnzimmer geplatzt, wo alle Hausbewohner um den Radioapparat herum saßen. In Afrika sah es für die Deutschen schlecht aus, es schien den Alliierten zu gelingen, die deutschen Truppen einzukesseln. Niemand im Raum kommentierte die Lobeshymnen, die der Nachrichtensprecher auf den britischen General Montgomery sang. Sie nahmen Rücksicht auf Peter, der sehr angespannt wirkte.
»Na endlich!« rief Adeline, als sie Lauras Neuigkeit hörte. Der Geburtstermin für Marguerites Baby war für Ende März berechnet worden, sie war seit zehn Tagen überfällig. »Hoffentlich geht alles gut. Diese kleine, zarte Frau wird es nicht leicht haben.«
Victoria stand auf, verließ das Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu.
Alle zuckten zusammen.
»Ich dachte, das liegt hinter ihr«, sagte Frances.
»Es wird ein harter Tag heute für sie«, meinte Adeline. » Manches liegt nie hinter einem.«
Frances erhob sich und schaltete das Radio ab, aus dem gerade die Nationalhymne erklang. »Adeline, wir sollten uns um das Mittagessen kümmern. Laura, hast du einen Wunsch, was du gern essen würdest? «
»Ich will nichts essen.«
»Du mußt etwas essen. Ich werde langsam ärgerlich.«
Um Lauras Mundwinkel zuckte es. »Ich kann nichts essen. Ich bin fett! «
»Schau dich mal an! Du siehst halb verhungert aus!«
Jetzt flossen die Tränen. »Zwingen Sie mich nicht, Frances, bitte!« «
»Ich will dir sagen, was ich tun werde«, sagte Frances hart. »Ich werde mir das noch genau eine Woche anschauen. Dann schleppe ich dich zu einem Arzt, und der wird dich zwangsernähren. Weißt du, wie das geht? Ich weiß das ziemlich genau, denn mit mir haben sie das auch gemacht, und ich kann dir nur versichern, etwas Höllischeres hast du nie erlebt. Sie legen dich auf den Rücken und...«
»Das bringt so doch nichts«, unterbrach Peter. »Sie machen es nur schlimmer, Frances.«
Sie starrte ihn wütend an. »So? Und was soll ich Ihrer Ansicht nach tun? Warten, bis sie irgendwann tot umfällt? Warum können Sie nicht zur Abwechslung einmal etwas unternehmen? Ihretwegen findet das ganze Drama doch statt!«
»Frances!« mahnte Adeline besorgt.
Peter war völlig überrascht. »Was?«
»Wenn Sie das wirklich nicht wissen, Peter, dann dürften Sie der letzte im Haus sein, der nichts mitbekommen hat! « Sie war jetzt ernsthaft zornig. »Wie habt ihr Deutschen eigentlich gedacht, den Krieg zu gewinnen? Mit Träumen? Das Mädchen hungert sich für Sie um den Verstand! Für Sie versucht sie schön zu sein und schlank und begehrenswert. Sie will...«
Laura stieß einen Laut des Entsetzens aus und verließ fluchtartig das Zimmer.
Peter war blaß geworden. »Das hätten Sie mir früher sagen sollen!« fuhr er Frances an. »Aber nicht so! Nicht vor ihr ! Warum mußten Sie sie bloßstellen?«
Er folgte Laura, und zum zweiten Mal krachte die Tür ins Schloß.
»Das war wirklich
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