Das Haus Der Schwestern
ich freue mich für die beiden! Siehst du nicht, wie ich mich freue?«
»Victoria, hör doch auf! Ich weiß ja, daß es hart ist für dich. Aber du hast schon Johns Hochzeit mit Marguerite durchgestanden. Nun stehe das hier auch noch durch!«
Victorias Augen zeigten einen eigentümlichen, harten Glanz. »Wenn ich damals ein Baby bekommen hätte, wären wir heute noch zusammen«, sagte sie.
»Also, das ist doch jetzt wirklich lächerlich. Eure Probleme hatten damit gar nichts zu tun.«
»Woher willst du denn etwas von unseren Problemen wissen?«
»Ich weiß zumindest, daß du aus deiner Kinderlosigkeit eine Tragödie gemacht hast, die in diesem Ausmaß niemand mehr nachvollziehen kann. Du hast dich da in etwas hineingesteigert, und alles, was in deinem Leben schiefgelaufen ist, schiebst du jetzt auf den Umstand, daß du keine Kinder bekommen konntest. Das ist absurd. Irgendwann solltest du die Dinge so sehen, wie sie sind.«
»Bist du fertig?«
»Ich will doch nur, daß du...«
»Darf ich dann gehen?«
»Wohin willst du?«
»Das weiß ich noch nicht, stell dir vor!« fauchte Victoria und schoß aus dem Zimmer.
»Sie ist wirklich völlig übergeschnappt«, stellte Frances fest.
John und Marguerite hatten also einen gesunden Sohn. Rasch verdrängte sie, was sie dabei empfand.
»Wir hätten heute vielleicht fünf Kinder«, hatte er gesagt, »wir wären eine laute, fröhliche Familie!«
Gut, sie waren es eben nicht. Es hatte nicht sollen sein. Es brachte nichts, noch darüber nachzudenken.
Sie ging nach oben, klopfte vorsichtig an Lauras Zimmertür. »Laura?«
Nichts rührte sich. Leise öffnete sie. Laura lag auf ihrem Bett und schlief. Sie war vollständig bekleidet. Ihr Mund stand ein Stück offen, über ihre Wangen liefen die Spuren getrockneter Tränen. Sie sah aus, als sei sie höchstens zwölf Jahre alt. Ein verweintes, kleines Mädchen.
Wie unglücklich sie ist, dachte Frances, wie unglücklich und allein.
Sie verließ das Zimmer.
Um sechs Uhr rief Adeline an und sagte, es gehe ihrer Schwester recht schlecht und ob es möglich sei, daß sie die Nacht über bei ihr bliebe und erst im Laufe des nächsten Vormittags zurückkomme?
Frances sagte, das sei selbstverständlich möglich. Sie lief in die Küche, um das Abendessen vorzubereiten; aber nach einer Weile fragte sie sich, für wen sie eigentlich kochte. War überhaupt jemand da, der essen wollte? Es herrschte eine Grabesruhe im Haus. Selbst die Hunde schienen beklommen umherzuschleichen.
Sie ging wieder nach oben und schaute in Lauras Zimmer. Laura schlief noch immer, zutiefst erschöpft von Kummer und Hunger. Es war, als habe sie sich in den vergangenen Stunden überhaupt nicht bewegt.
Frances klopfte an Victorias Zimmertür, aber dort rührte sich nichts. Sie trat ein. Die Schwester war nicht da. Ebensowenig Peter, in dessen Zimmer sie danach hineinspähte. Irgendwie wurde ihr mulmig zumute, obwohl sie sich sagte, daß sie sich sicher unnötige Sorgen machte. Sie stieg die Treppe wieder hinunter, schaute in Wohn-und Eßzimmer hinein. Alles war leer und still. Als sie die Kellertür öffnete, starrte ihr nur schwarze Finsternis entgegen. Trotzdem rief sie: »Victoria? Peter?« Niemand antwortete, und spöttisch fragte sie sich, was die beiden da unten in der eisigen Dunkelheit wohl hätten treiben sollen.
Sie ging wieder in die Küche, wo eine Gemüsesuppe auf dem Herd vor sich hin brodelte. Als sie zum Fenster in den Garten hinaussah, bemerkte sie, daß die Tür zum kleinen Schuppen halb offenstand. Es konnte sein, daß jemand einfach vergessen hatte, sie zu schließen. Sie würde hingehen und nachschauen.
Der Abend war hell und mild, von einer sanften, graublauen Farbe. Das Gras im Garten wucherte hoch, verdeckte fast den schmalen Plattenweg, der von der Küchentür zum Schuppen führte.
Ich werde Peter bitten, hier zu mähen, dachte sie, und erst im nächsten Moment fiel ihr ein, daß er ab morgen nicht mehr hier sein würde. Sie würde selber die Sense schwingen müssen. Auf einmal dachte sie: Es wird sehr leer sein — ohne Peter!
Sie hörte die Stimmen bereits, als sie noch ein gutes Stück vom Schuppen entfernt war. Die eine Stimme klang hoch und schrill und gehörte zu Victoria. Die andere klang leise und beruhigend: Peter.
»Ich habe doch gesehen, wie du mich angeschaut hast die ganze Zeit!« Das war Victoria. »Du hast mich nicht aus den Augen gelassen. Du hast auf meine Beine gestarrt, und ich habe gespürt, wie du mich
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