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Das Haus Der Schwestern

Das Haus Der Schwestern

Titel: Das Haus Der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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hing, und erschrak vor ihrem Anblick: Nach wie vor schillerte ihr Kinn zwischen Blau und Grün, aber nun war auch noch ihre Unterlippe dick angeschwollen, und in ihren Mundwinkeln klebte geronnenes Blut.
    »Verdammt«, murmelte sie. Jetzt erst merkte sie, wie weh ihr das Sprechen tat. Vorhin, als sie schrie, war ihr das in ihrer Wut und Entrüstung gar nicht aufgefallen. Aber nun ließ der Schock nach, und wenn sie den Mund bewegte, schmerzten Muskeln, von deren Existenz sie bisher nichts gewußt hatte. Abgesehen davon schmerzte ihr Mund auch, wenn sie ihn nicht bewegte. Ihr Kopf dröhnte und hämmerte, und mit jeder Minute schien es schlimmer zu werden.
    »Das gibt auch noch eine saftige Strafe wegen Körperverletzung, Mr. Leigh«, flüsterte sie rachsüchtig.
    In der obersten Kommodenschublade fand sie ein paar sauber gefaltete, weiße Taschentücher, nahm eines heraus, öffnete das Fenster und klaubte eine Handvoll Schnee vom Fensterbrett. Bei der Gelegenheit lehnte sie sich hinaus und schätzte die Möglichkeiten eines Fluchtweges ab. Sie waren gleich null. Trotz des tiefen Schnees konnte sie aus dieser Höhe keinen Sprung riskieren; zudem hatte sie keinen Mantel, keine Stiefel. Sie würde sich den Tod holen da draußen.
    Sie zog sich wieder ins Zimmer zurück, schlang das Taschentuch um den Schneeklumpen und preßte es gegen den Mund, ab und zu auch gegen die Stirn. Mit der Zunge tastete sie Ober-und Unterkiefer ab und stellte erleichtert fest, daß Fernand ihr wenigstens keinen Zahn ausgeschlagen hatte.
    In dem Zimmer gab es keinen Stuhl, keinen Sessel, nur das Bett, und auf das wollte Barbara sich nicht setzen. So lief sie auf und ab wie ein Tiger im Käfig. Ihre Schmerzen waren nun so schlimm, daß sie ab und zu nicht anders konnte, als leise zu stöhnen. Vermutlich hatte sie eine leichte Gehirnerschütterung davongetragen.
    Sie spürte brennenden Durst, holte sich noch einmal etwas Schnee und schleckte daran. Sie hatte kein Gefäß, worin sie ihn hätte zu Wasser schmelzen können. Unten in der Küche vergammelten nun Eier und Würstchen und wurde der Kaffee kalt; aber etwas Heißes hätte sie ohnehin nicht trinken können, und an Essen war bei ihrem mißhandelten Mund gar nicht zu denken.
    Es war bereits fast ein Uhr, als Barbara der Gedanke kam, Fernand könne vielleicht schon gar nicht mehr da sein. Sie hörte im ganzen Haus keinen Laut. Wahrscheinlich hatte er sich aus dem Staub gemacht. Worauf sollte er hier auch warten? Darauf, daß Ralph zurückkehrte und sie beide dann die Polizei verständigen würden? Er hatte sie hier oben eingesperrt, um sie vorläufig außer Gefecht zu setzen und um Zeit zu gewinnen, das Weite zu suchen.
    Das Weite zu suchen?
    Sie fragte sich, ob Fernand Leigh ernsthaft alles zurücklassen würde, was er besaß, um seiner drohenden Verhaftung zu entgehen. Seine Situation war kritisch: Natürlich würde es schwierig sein, ihm seine Erpressungen nachzuweisen, aber es gab nun zwei Frauen, die gegen ihn aussagen würden: Laura und Barbara. Laura konnte die Kaufverträge vorzeigen, die jeden mißtrauisch stimmen mußten. Fernand konnte nicht sicher sein, ob er mit heiler Haut aus der Angelegenheit hervorgehen würde. Aber er war nicht irgendein abgerissener Strolch, dem es gleich sein mochte, wie, in welcher Stadt und unter welchem Namen er während der nächsten Jahre leben würde. Für den es kein Problem bedeutete, sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser zu halten und sich bei irgendeiner übellaunigen Wirtin ein tristes Zimmer zu mieten.
    Fernand hatte etwas zu verlieren. Einen Herrensitz, der sich seit Jahrhunderten im Besitz der Familie befand. Ländereien. Den Status des reichsten Mannes in der Gegend — selbst wenn es mit dem Reichtum nicht mehr weit her war. Wenn er ginge, müßte er zuviel aufgeben, und das würde er nicht tun.
    Und genausowenig würde er ins Gefängnis gehen.
    Auf einmal bekam sie Angst. Sie schlug erneut mit beiden Fäusten gegen die Tür und schrie, so laut sie konnte, obwohl ihr bei jeder Bewegung der Schmerz wie ein Messerstich durch den Mund fuhr. Schließlich rutschte sie erschöpft mit dem Rücken an der Tür entlang zu Boden und blieb dort sitzen. Sie war eine Idiotin gewesen zu glauben, Fernand Leigh würde sie seelenruhig zur Polizei marschieren und sich von ihr um seine Existenz bringen lassen. Sie hatte sich nicht ernsthaft in Gefahr gewähnt, aber nun wurde ihr klar, daß sie nie in größerer Gefahr geschwebt hatte. Sie mußte der Tatsache

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