Das Haus Der Schwestern
zuzugeben, und bis zum Schluß durfte man ihr nicht mal den Steigbügel halten, wenn sie aufstieg.« Er lachte leise in der Erinnerung an die alte, trotzige Frau.
»Manchmal, wenn ich zu Besuch kam und sie saß im Garten und hatte mich noch nicht bemerkt, dann sah ich ihren traurigen, verlorenen Blick, der irgendwo in ihre Vergangenheit gerichtet war. Aber kaum trat ich näher, verschwand der Kummer aus ihrem Gesicht, und sie war wieder der Indianer, der keinen Schmerz kennt. Sie war eine großartige Frau.« Leise fügte er hinzu: »Du bist eine großartige Frau! «
»Nein.« Sie wich noch ein Stück zurück und stand nun schon fast im Flur. »Reden wir nicht über mich, Fernand. Wir waren bei deinem Charakter. Ich habe kein Verständnis für das, was du tust. Du bist ein gutaussehender, starker, gesunder Mann. Das Familienleben in deiner Kindheit war sicher nicht ganz unkompliziert, aber auch keine Katastrophe. Du hast genügend Besitz geerbt, um ein Leben im Wohlstand führen zu können. Du mußtest nie in einem Krieg kämpfen, der dich aus der Bahn hätte werfen können, so wie es deinem Vater passiert ist. Es gibt einfach keinen Grund und keine Entschuldigung dafür, daß du trinkst und deine Frau mit den Fäusten traktierst. Es gefällt mir nicht, daß du das tust. Unglücklicherweise habe ich gestern abend daran einfach nicht mehr gedacht.«
»Das kommt selten vor, was? Daß du nicht mehr denkst. Ich glaube fast, ich kann mir durchaus etwas darauf einbilden, dich so heiß gemacht zu haben, daß du glatt vergessen konntest, was für ein böser, böser Junge dich da vögelt! «
»Ich sagte bereits, wir sprechen nicht mehr darüber.«
»Oh!« Wieder kam er näher und stand nun wie eine Mauer vor ihr. Sie widerstand dem Impuls, abermals zurückzuweichen. Er durfte keinesfalls merken, daß sie Angst bekam.
»Du sagtest es bereits? Und was du sagst, das geschieht?«
Sie erwiderte nichts.
»Funktioniert das bei deinem Mann? Läßt er sich diesen Ton bieten? Ich glaube, er zieht den Schwanz ein und kuscht, wenn du deine Befehle ausgibst.«
»Ich möchte, daß du jetzt gehst«, sagte Barbara kalt.
»Genau so habe ich ihn eingeschätzt bei unserer ersten Begegnung«, sagte Fernand ungerührt. »Ein Weichei. Kein Wunder, daß du bei ihm nicht auf Touren gekommen bist. Mir war sonnenklar, daß ich dich nur einmal allein erwischen muß, und du ziehst ab wie eine Rakete.«
Sie kniff die Augen zusammen. »Du hast gewußt, daß ich allein bin, stimmt’s? Deshalb bist du gestern abend hier so plötzlich aufgetaucht.«
Einen Moment lang schien es, als wolle er es abstreiten, aber dann nickte er. »Ja. Ich wußte es. Meine Frau hatte mit Cynthia telefoniert, und die ist nun einmal die erste Klatschtante in der Gegend. Sie erzählte sofort, daß ihr halbverhungert auf der Farm sitzt, daß dein Mann nun losgezogen ist, etwas zum Essen zu organisieren, daß du nichts von ihm hörst und in großer Sorge bist. Na ja, und da dachte ich...«
»Du dachtest, wenn du bei der armen, hungrigen Barbara mit einem Rucksack voller Essen aufkreuzt, wird sie sich vor lauter Dankbarkeit sofort von dir flachlegen lassen«, sagte Barbara bitter.
Sie war wütend auf ihn, aber allmählich wurde sie auch zunehmend wütend auf sich. Sein Kalkül mochte ekelhaft gewesen sein; aber es hatten zwei dazu gehört, es aufgehen zu lassen, und sie hatte äußerst bereitwillig angebissen. Wahrscheinlich hatte er die ganze Zeit über innerlich triumphiert.
»Ich weiß nicht mehr genau, was ich im einzelnen dachte«, sagte er ernst. »Ich weiß nur, daß ich mit dir allein sein wollte. Ich mußte immer wieder an dich denken seit unserer ersten Begegnung.« Wieder hob er die Hand und wollte in ihr Haar greifen, aber diesmal bog sie rechtzeitig den Kopf zurück.
»Wir frühstücken jetzt«, sagte sie, »und dann solltest du dich auf den Heimweg machen.«
»Danke, daß du mir noch eine Tasse Kaffee zugestehst, ehe du mich hinauswirfst«, sagte er ironisch.
Sie ignorierte diese Bemerkung, schlängelte sich an ihm vorbei ins Zimmer und packte den Papierstapel, der noch immer auf dem Tisch lag.
»Ich werde das wieder dorthin bringen, wo ich es gefunden habe. Laura braucht nicht zu erfahren, daß ich das Geheimnis kenne.«
Er nickte. »Sehr vernünftig.«
Barbara zögerte. »Andererseits ... sie lebt in ständiger Panik, daß jemand die Aufzeichnungen findet. Sie hat eine Heidenangst, für diese Geschichte damals belangt zu werden. Ich weiß nicht, ob
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