Das Haus Der Schwestern
Treppenstufe stehen. »Du hast Besuch?« fragte er verwundert.
Sie entwand Fernand ihren Arm. »Ja. Aber er wollte gerade gehen.«
»Hattest du nicht etwas von Frühstück gesagt?« fragte Fernand.
»Das war vor Stunden. Bevor du mich niedergeschlagen und in dieses Zimmer gesperrt hast.«
» Was? « fragte Ralph. Er hatte das Gefühl, in irgendeinem grotesken Schauspiel gelandet zu sein.
Fernand sah ihn mit einem spöttischen Lächeln an. »Ich habe mich ein wenig um Ihre Frau gekümmert. Sie war ja ganz allein in diesem großen Haus — und sehr hungrig!«
Ralph hatte den Eindruck, daß Barbara mit ihren Nerven ziemlich am Ende war.
»Mr. Leigh tauchte gestern abend überraschend hier auf«, erklärte sie hastig, »er hatte von Cynthia erfahren, daß wir seit Tagen hungern. Er . . . war so nett, uns einige Lebensmittel zu bringen. Es tut mir leid, Ralph. Hätten wir das geahnt, dann hättest du dir die ganzen Strapazen sparen können.«
»Dann habe ich mir ja ganz umsonst Gedanken gemacht«, sagte Ralph; »gestern abend, als ich vor einem wunderbaren Essen saß, hatte ich ein furchtbar schlechtes Gewissen, weil ich dachte, du mußt noch immer hungern.«
»Wie ich gesagt habe!« meinte Fernand.
Irgend etwas an der Situation gefiel Ralph nicht. Die Anspannung zwischen Fernand und Barbara war so spürbar, daß sie sich ihm fast lähmend auf die Sinne legte. Wieso hatte Fernand Barbaras Arm festgehalten? Wieso standen die beiden hier oben? Warum hatte Barbara nicht herunterkommen wollen? Und was hatte sie gesagt? Er realisierte die Bedeutung erst in diesem Moment: »Bevor du mich niedergeschlagen und hier eingesperrt hast . . .« Das war ein Witz gewesen, oder? Aber ihr Mund . . .
Er flüchtete sich in Konventionen, in der Hoffnung, er werde seine Unsicherheit und Verwirrung dadurch verbergen.
»Es war sehr freundlich von Ihnen, Mr. Leigh, sich so viele Umstände zu machen«, sagte er, »meine Frau und ich sind Ihnen sehr dankbar.«
Fernand winkte lächelnd ab. »Ihr Frau hat sich schon recht dankbar gezeigt«, sagte er freundlich.
Es klang anzüglich. Ralph sah an ihm vorbei in das Zimmer. Sein Blick blieb an dem zerwühlten Bett hängen. Natürlich hatte ihm Barbara anbieten müssen, in Westhill zu übernachten; nach dem neuerlichen Schneefall am gestrigen Abend hatte sie ihn nicht in der Dunkelheit wieder auf den Heimweg schicken können.
Er fragte sich jedoch, warum dieser Mann mittags noch immer da war, weshalb er und Barbara in dem kleinen Schlafzimmer standen. Etwas Dunkles, Düsteres erwachte in ihm, eine Ahnung, die er sofort verzweifelt zurückdrängte. Das konnte nicht sein, das war absurd. Er sah Gespenster, weil er völlig ausgelaugt und erschöpft war. Seine Füße schmerzten von der Kälte. Er hatte sich auf eine heiße Dusche gefreut. Er brauchte Entspannung, Schlaf.
»Fernand, ich würde gern mit Ralph alleine reden«, sagte Barbara.
Fernand rührte sich nicht von der Stelle. »Ich wäre aber gern dabei«, sagte er.
Das geht eindeutig zu weit, dachte Ralph. Er schob die Lethargie beiseite. Dieser Mann verhielt sich unverschämt. Er hatte Barbara etwas zu essen gebracht, aber er hatte nicht das Recht, sich hier aufzuführen wie der Herr im Haus.
»Sie haben doch gehört, was meine Frau gesagt hat«, entgegnete Ralph. Er hörte selbst, wie scharf seine Stimme klang. »Es war nett, daß Sie ihr etwas zu essen gebracht haben. Aber ich denke, Sie sollten jetzt gehen.«
Fernand lächelte wieder. »Ich glaube nicht, daß Ihre Frau wirklich will, daß ich gehe.«
»Doch, das will ich«, berichtigte Barbara. »Ich will, daß du verschwindest, und zwar sofort.«
»Dir wird ein bißchen brenzlig zumute. Weil dein Ehemann plötzlich aufgetaucht ist. Soweit ich mich erinnere, hast du vorhin noch recht groß herumgetönt, du wolltest ihm alles sagen. Dein Geständnis würde ich gerne hören. Ich bin gespannt auf deine Ausflüchte und Erklärungen. Du bist schließlich darin geübt, unredliches Verhalten zu verteidigen, Frau Anwältin.«
Ralph kam die letzte Stufe herauf. »Hauen Sie ab! « sagte er leise. »Hauen Sie auf der Stelle ab. Ich weiß nicht, was hier vorgefallen ist, aber ich werde es sicher herausfinden. Falls Sie meiner Frau irgend etwas angetan haben, werden Sie sich wegen Körperverletzung vor Gericht verantworten müssen, das kann ich Ihnen schon jetzt versichern.«
Diesmal griff er nach Fernands Arm. Fernand sah auf die Hand hinunter, die ihn umklammert hielt.
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