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Das Haus Der Schwestern

Das Haus Der Schwestern

Titel: Das Haus Der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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wohl nicht begriffen.
    Oder nicht ernst genommen, dachte sie bitter.
    » Ja, vielleicht würde ich einen Weg finden«, sagte sie, »aber dann gehen die Schwierigkeiten weiter. Dann werden mir Steine in den Weg gelegt bei der Berufswahl. Letzten Endes erwartet jeder von mir, daß ich einfach heirate und eine Menge Kinder bekomme!«
    »Und das kannst du dir überhaupt nicht vorstellen?«
    Sie wandte sich ab und ging weiter. »Ich weiß nicht«, sagte sie, »ich weiß gar nicht, was ich mir vorstelle.«
    Er lief hinter ihr her, hielt sie am Arm fest und drehte sie zu sich herum.
    »Ich freue mich, wenn du in drei Jahren von der Schule zurück nach Leigh’s Dale kommst«, sagte er. Sein Blick umfaßte sie liebevoll. »Ich freue mich wirklich. Denk daran bitte auch.«
    Es war ein Versprechen von Zukunft, das konnte sie in seinen Augen lesen. Sie fragte sich, warum sie sich deshalb kein bißchen besser fühlte.

    Mai 1910

    Niemand konnte sich erinnern, daß je ein Mai so warm gewesen war wie der des Jahres 1910. Im Süden Englands, so schrieben die Zeitungen, mußte die Hitze fast unerträglich sein, und besonders die Londoner stöhnten und klagten. In den Straßen wurden Fässer mit Wasser aufgestellt, damit sich die Leute im Vorübergehen erfrischen konnten. Noch hatte die Feriensaison nicht begonnen, aber die reichen Leute flüchteten bereits auf ihre Landsitze.
    In Yorkshire blieb es immer kühler als in den südlichen Grafschaften, aber dieser Mai war auch dort oben ungewöhnlich warm und trocken. Tag für Tag schien die Sonne von einem strahlend blauen Himmel. Die Bauern unkten bereits, ihnen stünde eine längere Dürreperiode bevor, die Ernte würde schlecht sein. Aber noch schienen die Sorgen unbegründet. Der April hatte reichlich Regen gebracht, die Wiesen leuchteten in einem frischen, kräftigen Grün. Die Schafe fraßen, als könnten sie nicht genug bekommen, und wenn man ihnen zusah, konnte man bereits den herrlich würzigen Käse schmecken, der aus ihrer Milch zubereitet werden würde. Noch berühmter als der Schafskäse allerdings war der Käse aus Kuhmilch, der » Wensleydale Cheese«, der überall in England gern gegessen wurde.
    Frances Gray war in diesem Frühsommer unruhig und unstet wie nie vorher. Im März war sie siebzehn Jahre alt geworden, sie empfand sich als erwachsen und hatte doch das Gefühl, als ließe das große Ereignis, das den Auftakt zum Eintritt ins Erwachsenenalter bilden sollte, unverhältnismäßig lange auf sich warten. Dabei wußte sie nicht einmal, wie dieses Ereignis aussehen sollte. Sie hatte nur den Eindruck, daß in ihrem Leben bisher nichts geschehen war und daß die Dinge so eintönig nicht weitergehen durften.
    Anfang April hatte sie endlich der verhaßten Emily-Parker-Schule in Richmond den Rücken gekehrt, und sie hatte in den ersten Wochen der Freiheit gedacht, daß ihr nie mehr im Leben etwas Schlimmes zustoßen konnte. Das wirklich Schlimme hatte sie hinter sich gebracht. Bis zum Schluß hatte sie die Schule gehaßt. Sie war auf der Westhill Farm im grünen, hügeligen Wensleydale aufgewachsen, ohne Zwänge, war barfuß gelaufen im Sommer, war ohne Sattel und Zaumzeug auf den Pferden herumgaloppiert, hatte im Schneidersitz auf dem Küchentisch gesessen und ihrer Großmutter beim Geschichtenerzählen zugehört. Es war ihr unerträglich gewesen, in einem düsteren Haus in der Stadt eingekerkert zu sein, in einem Schlafsaal mit neun anderen Mädchen zu liegen, schweigend, denn Sprechen war verboten. Bei Ausflügen mußten sie paarweise hintereinander hergehen, sie durften nicht rennen - außer im Sport-unterricht — , durften nicht laut lachen und keine anzüglichen Witze, wie Frances sie von den Farmarbeitern her kannte, erzählen. Einmal hatte Miss Parker, die Schulleiterin, Frances im Schneidersitz auf dem Bett überrascht. Sie war völlig außer sich geraten, hatte Frances liederlich und verdorben genannt und ihr ein schlimmes Ende prophezeit, denn eine Dame, die ihre Beine nicht immer geschlossen hielt, forderte Männer zu unaussprechlichen Gedanken heraus, denen im schlimmsten Fall sogar Taten folgen mochten. Miss Parker hatte sich fast noch mehr aufgeregt als über jenen denkwürdigen Zwischenfall mit dem Tennisschläger; dabei gab es in der ganzen Schule nicht ein einziges männliches Wesen und somit niemanden, der irgendwelche gefährlichen Gedanken hegen konnte. Es interessierte Frances auch nicht sonderlich, welche Meinung die alte Parker von ihr hatte,

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