Das Haus Der Schwestern
auch anderen Unterricht: Mathematik und Literatur ... und du lernst Tennis spielen. Das macht dir doch Spaß! « Er grinste.
»Auch wenn du deinen Tennisschläger dann und wann für andere Zwecke mißbrauchst! «
»Ich würde viel lieber reiten als Tennis spielen. Aber das kann ich hier ja auch nicht!«
»Das kannst du an den Wochenenden zu Hause tun. Ja, ich weiß«, sagte er rasch, als sie ihren Mund zum Protest öffnete, »jetzt darfst du erst mal nicht heim. Aber das ist nicht für ewig.«
Frances blieb stehen. In einem wilden Jasminstrauch neben ihr summten die Bienen. Es roch süß und verführerisch nach Sommer.
»Vicky ist nach Hause gefahren«, sagte sie.
»Klar. Sie ist eine Musterschülerin. Mach dir doch deswegen keine Gedanken.«
»Sie ist zwei Jahre jünger als ich. Aber sie wird mir ständig vorgehalten. ›Nimm dir ein Beispiel an deiner kleinen Schwester, Frances!‹ Ich weiß nicht, wie das geht«, sagte Frances und schaute an sich hinunter, an dem knöchellangen dunkelblauen Rock, der weißen Bluse, in der man kaum den Kopf bewegen konnte, so hoch und steif umschloß der Kragen den Hals, »aber Vicky sieht selbst in dieser gräßlichen Uniform noch niedlich aus!«
»Du siehst auch sehr niedlich aus«, tröstete John.
Frances wußte, daß das nicht stimmte. So süß und hübsch wie die kleine Victoria war sie ohnehin nie gewesen, aber inzwischen konnte sie sich schon überhaupt nicht mehr mit ihr messen. Sie war ziemlich in die Höhe geschossen während des letzten halben Jahres, aber dabei war sie dürr wie ein Zaunpfahl, und es schien nichts mehr an ihrem Körper zu geben, was in den Proportionen auch nur noch annähernd zueinander paßte. Ihre Haare, um die sie sich früher kaum hatte kümmern müssen, hingen strähnig herab, so daß sie sie neuerdings aufsteckte - wobei sie fand, daß ihr Kopf dann wie ein Ei aussah. Sie mochte auch ihre stahlblauen, hellen Augen nicht. Vickys Augen hatten die Farbe von dunklem Bernstein. Frances hätte ein Vermögen für diese Augen gegeben.
»Hast du dir ein Zimmer genommen hier in Richmond?« fragte sie, um sich von den Gedanken um ihr Aussehen abzulenken. Sich damit zu beschäftigen, deprimierte sie stets zutiefst.
» Ja. Denkst du, ich schlafe im Auto? « Die Leighs gehörten zu den ganz wenigen Menschen, die Frances kannte, die reich genug waren, bereits ein Auto zu besitzen.
» Kann ich nicht mit zu dir kommen heute nacht?« fragte sie. » Ich habe überhaupt keine Lust, in die Schule zurückzugehen!«
»Also, das geht wirklich nicht«, sagte John rasch, »du machst doch deine Situation nur noch schlimmer. Was meinst du, wieviel Ärger du dann erst kriegst! Ganz abgesehen«, fügte er hinzu, »von den Schwierigkeiten, in die ich gerate, auch wenn ich wirklich nur die ganze Nacht im Sessel sitzend verbringe.«
» Ich würde ja nicht sagen, daß ich bei dir war!«
»Was würdest du denn dann sagen?« Er trat vor sie, nahm ihre beiden Hände und sah sie ernst an. »Frances, jetzt hör mal zu. Ich weiß, du findest es furchtbar hier. Du fühlst dich eingesperrt und unterdrückt, und du bist ein Mensch, der das ganz schlecht aushält. Aber du mußt da jetzt durch. Es sind nur noch drei Jahre. Du beißt die Zähne zusammen und schaffst das! «
Sie atmete tief. Die drei Jahre lagen vor ihr wie eine Ewigkeit.
»Für mich wird jetzt die Universität beginnen«, erklärte John, »das ist auch kein Zuckerschlecken. Aber es muß eben sein.«
»Universität!« sagte sie bitter. »Da siehst du doch den Unterschied!«
»Welchen Unterschied?«
»Den zwischen dir und mir. Den zwischen Männern und Frauen. Bei dir macht das alles einen Sinn. Deine Schulzeit war auch nicht schön, aber du wußtest, wofür du das alles tust. Um später auf eine Universität zu gehen. Um das Beste aus deinem Leben zu machen. Um deine Fähigkeiten zu erkennen und zu lernen, sie richtig einzusetzen.«
»Das ist bei dir auch so.«
»Nein!« rief sie wütend. » Nein, ist es nicht! Ich muß das alles hier durchmachen für nichts! Ich werde nicht auf eine Universität gehen können. Es gibt ja kaum welche, die Frauen zulassen. Mein Vater würde die Wände hochgehen, wenn ich mit so einer Idee daherkäme.«
»Aber vielleicht würdest du doch einen Weg finden«, meinte John.
Er sah erstaunt aus. Frances hatte den Eindruck, er hatte keine Ahnung gehabt, mit welchen Problemen sie sich herumschlug. Sie wußte, daß sie ein paarmal Andeutungen gemacht hatte, aber er hatte sie
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