Das Haus Der Schwestern
eigentlich mit dir und John Leigh?« bohrte sie vorsichtig nach. » Ihr seid doch praktisch seit Kindertagen verlobt! « Sie lächelte, und dieses Lächeln machte Frances ärgerlich.
»Ach, Mutter, das war doch damals... das ist lange her. Er hat mich nie mehr gefragt.«
»Wahrscheinlich machst du ständig ein so mißgelauntes Gesicht, daß er sich das gar nicht traut«, meinte Maureen. Sie zuckte zusammen, als von draußen eine Hupe erklang. » O Gott, Mrs. Maynard ist schon da, und ich habe die Noten immer noch nicht gefunden! Lauf hinunter und sage ihr, sie soll schon ins Wohnzimmer gehen. Ich komme sofort!«
Mrs. Maynard, die Klavierlehrerin, war bekannt für ihre taktlose Art. Frances wußte, daß sie heute mürrisch aussah, und wunderte sich nicht, daß Mrs. Maynard sofort eine Bemerkung darüber machte. »Was hat dir denn die Suppe versalzen?« fragte sie. » Liebeskummer? «
»Nein«, erwiderte Frances verärgert. Sie fragte sich, weshalb die Leute bei einem jungen Mädchen nie auf die Idee kamen, es könnte andere Probleme haben als Liebeskummer.
»Ich habe etwas, das deine Laune heben wird!« sagte Mrs. Maynard und kramte in ihrer Tasche. Sie förderte einen Briefumschlag zutage und wedelte damit vor Frances’ Nase herum. »Ich komme gerade von den Leighs. Die alte Mrs. Leigh bildet sich ja neuerdings ein, unbedingt Klavier spielen zu müssen. John Leigh bat mich, dir diesen Brief mitzubringen!« Sie drückte ihn Frances in die Hand.
»Ist John denn daheim?« fragte Frances erstaunt. John studierte in Cambridge und kam selten nach Hause.
»Seinem Vater geht es nicht gut«, erklärte Mrs. Maynard, »ich weiß nichts Genaues, aber deswegen ist John jedenfalls hierhergekommen.«
Es mußte ernst sein, mutmaßte Frances. John kam sicher nicht wegen einer Erkältung seines Vaters von Cambridge nach Leigh’s Dale.
»Der Brief ist zugeklebt«, sagte Mrs. Maynard augenzwinkernd. »Du kannst es nachprüfen. Natürlich hat es mich fast zerrissen zu erfahren, was drinsteht, aber Wasserdampf war unterwegs nicht zu haben!« Sie lachte laut auf und marschierte an Frances vorbei ins Haus, wo man sie gleich darauf rufen hören konnte: »Maureen! Hallo, Maureen! Ich bin es, Dorothy!«
Frances verdrehte die Augen und überlegte, wohin sie sich verziehen könnte, um den Brief in aller Ruhe zu lesen. Seit ihrer Rückkehr aus Richmond hatte sie John nur einmal kurz gesehen, an Ostern, während des Gottesdienstes. Es waren viele Leute um sie herum gewesen, und sie hatten kaum ein Wort wechseln können.
Sie sah sich also um, und wie immer, wenn sie Westhill Farm und die Landschaft darum bewußt wahrnahm, stieg ein Gefühl von Frieden in ihr auf und von Dankbarkeit dafür, hier leben zu dürfen. So weit das Auge reichte, nur grüne, hügelige Wiesen, grasende Kühe und Schafe, kleine, dunkle Waldstücke dazwischen, hier und da ein Bach, der sich einen Berg hinabschlängelte. Die Weiden wurden kreuz und quer von niedrigen Steinmauern durchzogen, die uneben waren und schief, von Moos oder kleinen lilafarbenen Blumen bewachsen. Ein breiter Feldweg führte vom Haus den Abhang hinunter zu der gewundenen Landstraße, auf der man in der einen Richtung nach Leigh’s Dale und dann weiter nach Askrigg gelangte, in der anderen Richtung nach Daleview, dem Herrenhaus der Familie Leigh. Den Leighs gehörte seit Generationen alles Land in der Umgebung, mit Ausnahme des — vergleichsweise bescheidenen — Grundes der Westhill Farm. Seit mindestens zweihundert Jahren versuchten die Leighs in jeder Generation von neuem, an das Westhill-Land zu kommen. Es war ihnen nie geglückt, und auch Charles Gray, Frances’ Vater, lehnte jedes noch so verlockende Angebot des alten Arthur Leigh ohne das geringste Zögern ab.
Frances ging um das Haus herum und betrat durch eine kleine Pforte den Garten. Der Eindruck von blühender, duftender Wildnis, der sie empfing, täuschte insofern, als hier nichts zufällig wuchs und wucherte. Jede Blume, jeden Busch, jeden Baum hatte Maureen mit Bedacht und Sorgfalt gepflanzt. Man lief zwischen Heckenrosen und riesigen Rhododendronbüschen entlang, konnte im Schatten der Obstbäume oder unter den melancholisch herabhängenden Zweigen einer Trauerweide träumen. Nur noch wenige Wochen, und die Rosen würden blühen, und der Garten würde überwuchert sein von den rosafarbenen und violetten Blüten der Fuchsien.
Solange sie zurückdenken konnte, war es ein tief vertrauter Anblick für Frances, ihre Mutter
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