Das Haus Der Schwestern
auch so. Aber ich fürchte, wir können wenig tun.«
»Im Keller stehen ein Paar Skier. Mit denen könnte ich versuchen, nach Leigh’s Dale zu gelangen.«
»Das ist zu gefährlich. Wir sind hier vor drei Tagen in der Dämmerung angekommen, eigentlich war es fast schon dunkel. Wir haben nur eine ungefähre Ahnung, in welcher Richtung Leigh’s Dale von hier aus liegt, und selbst da können wir uns irren. Angenommen, du verläufst dich. In dieser Kälte, in diesem Sturm kann dich das dein Leben kosten!«
»Ich habe nachgedacht, Barbara. Natürlich besteht ein Risiko, daß man das Dorf überhaupt nicht findet. Aber auch wenn das hier eine wirklich einsame Gegend ist, so ist sie doch nicht völlig ausgestorben! Selbst wenn man sich verirrt, stößt man doch wohl hin und wieder auf eine Farm oder ein Wohnhaus!«
»Wenn es dumm läuft, dann vielleicht nicht.«
» Wir sind hier in Wensleydale in Nord-Yorkshire«, sagte Ralph, »nicht in den sibirischen Weiten, auch wenn es im Augenblick draußen so aussieht. Hier bist du nicht tagelang unterwegs, ohne einen Menschen zu treffen.«
»Dann laß uns wenigstens zusammen losziehen«, meinte Barbara.
Er schüttelte den Kopf. »Es ist nur ein Paar Skier da.«
»Ich finde die Idee nicht besonders gut. Aber du scheinst entschlossen zu sein.«
Über den Tisch hinweg nahm er ihre Hand; eine Geste, die zwischen ihnen selten geworden war und die Barbara als eigenartig zärtlich empfand. »Ich will ja nicht heute aufbrechen. Ich denke nur, wir sollten einen Plan schmieden für den Fall, daß sich die Dinge da draußen nicht beruhigen wollen.«
Sie nickte und griff erneut nach der Kaffeekanne, obwohl sie aus früheren Jahren von ihren radikalen Diätkuren her noch wußte, daß sie von so viel Kaffee auf fast leeren Magen Bauchschmerzen bekommen würde.
Für den Moment war ihr das völlig egal.
Sie hatten Schnee geschaufelt und Holz gehackt, und Barbara hatte Ralphs blutige Blasen an den Händen verarztet, die er sich trotz des Tragens von Handschuhen beim Arbeiten zugezogen hatte. Beide waren sie müde und hungrig, krampfhaft bemühten sie sich, nicht ans Essen zu denken oder an solch luxuriöse Annehmlichkeiten wie ein heißes Bad mit viel Schaum. Ralph hatte angeboten, für Barbara Wasser auf dem Herd zu erhitzen und nach oben zu tragen, bis die Wanne auf ihren altmodischen Schnörkelfüßen gefüllt war; aber Barbara sagte, der Aufwand stehe in keinem Verhältnis zum tatsächlichen Nutzen.
Ralph, abgekämpft wie er war, schien erleichert. Er hatte einen Hercule-Poirot-Krimi in einem Regal gefunden und zog sich damit vor den Kamin im Eßzimmer zurück, während sich Barbara in der Küche einen Kräutertee aus Lauras unerschöpflichen Beständen braute. Ihr Magen schmerzte heftig. Draußen wurde es dunkel, und die Schneeflocken stürzten in Kaskaden vom Himmel. Barbara zog mit einem wütenden Ruck die Vorhänge am Küchenfenster zu. Sie konnte den verdammten Schnee nicht mehr sehen.
Auf dem Tisch lag Frances Grays Buch. Barbara hatte den ganzen Tag über immer wieder darin gelesen, zwischen den leidigen Arbeiten, die erledigt werden mußten. Frances Gray hatte sich im Herbst des Jahres 1910 häufig mit Alice Chapman getroffen und an Veranstaltungen der WSPU teilgenommen. Sie hatte ihren Bruder George wiedergesehen, der unter dem Zerwürfnis mit seinem Vater schwer litt, dem es Stolz und Selbstachtung jedoch verboten, von sich aus den ersten Schritt zu tun. Frances schrieb noch einmal an John Leigh, der aber wiederum nicht antwortete. Sie hatte einige Auseinandersetzungen mit Margaret, die es nicht im mindesten guthieß, daß sich ihre Nichte mit den militanten Frauenrechtlerinnen zusammentat.
Margaret stand in diesen Wochen vor einem schweren Konflikt, der sie fast zerriß. Einerseits fühlte sie sich verpflichtet, Frances’ Eltern von den gefährlichen Ambitionen der Tochter zu unterrichten; andererseits fürchtete sie, unloyal zu sein, wenn sie Frances verriet und damit in Schwierigkeiten brachte. Sie war ohnehin mit den Nerven am Ende, weil sie sich ununterbrochen bemühte, Phillip nicht aus den Augen zu lassen, da sie argwöhnte, er warte nur auf eine Gelegenheit, erneut Hand an sich zu legen. Nachts lag sie wach und grübelte darüber nach, was alles mit den beiden jungen Menschen passieren könnte, die ihr anvertraut waren.
Phillip seinerseits versuchte, sich enger an Frances anzuschließen, was von dieser eher widerwillig geduldet wurde, da sie zu sehr mit Alice
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