Das Haus Der Schwestern
Augen, in denen so viel Verzweiflung und Einsamkeit, eine solch mörderische Hoffnungslosigkeit zu lesen stand wie in denen von Phillip Middleton.
»Er hat dreimal versucht, sich das Leben zu nehmen«, berichtete Margaret, »und jedesmal wurde er nur durch Zufall gerettet. Seine Mutter ist halb verrückt vor Angst, er könnte es wieder probieren.«
»Er gehört in ärztliche Behandlung«, meinte Frances, »wieso glaubt sie, du könntest damit zurechtkommen?«
»Sie befürchtet, er könnte für immer in einer Anstalt verschwinden, wenn er erst einmal in die Mühlen der Psychiatrie gerät«, erwiderte Margaret. »Sie hat eine Menge Erkundigungen eingezogen, und demnach scheint es schrecklich zuzugehen in den psychiatrischen Krankenhäusern. Sie verspricht sich viel davon, wenn er nicht mehr täglich mit seinem Vater zusammen ist. Der behandelt ihn wohl sehr schlecht.«
Sie saßen beim Frühstück im Eßzimmer. Frances hatte auf ihren Tee im Bett verzichtet, weil sie auf eine Unterredung mit Margaret brannte. Phillip war nicht erschienen. Margaret hatte Mr. Wilson nach oben geschickt, um zu sehen, ob alles in Ordnung war, und Mr. Wilson hatte gesagt, Phillip stehe fertig angezogen an seinem Zimmerfenster und starre hinaus. Daraufhin war Margaret ebenfalls nach oben gegangen und nach einer Weile mit ratloser Miene zurückgekehrt. »Er hat keinen Hunger, sagt er. Er möchte nur hinaussehen. Er ist höflich, aber völlig abweisend.«
»Warum wollte er sich umbringen?« fragte Frances nun. Sie hatte sich Würstchen und Rühreier von der Anrichte geholt. Sie verspürte großen Hunger an diesem Morgen.
»Ich weiß nicht, ob er ohnehin eine depressive Veranlagung hat, jedenfalls schien es in seiner Schulzeit loszugehen.« Margaret hatte offensichtlich keinen Hunger an diesem Morgen. Sie trank nur etwas Tee und sah blaß und sorgenvoll aus. »Sein Vater schickte ihn von klein auf in ein sehr strenges Internat. Phillip war ein überaus sensibles und verträumtes Kind, sehr scheu und zurückhaltend. Das wollte ihm sein Vater unbedingt austreiben. Die anderen Kinder erkannten ihn als den Schwächsten und begannen sofort, ihn zu drangsalieren. Er wurde von morgens bis abends gehänselt und gequält.«
»Konnten seine Eltern nicht eine andere Schule für ihn aussuchen? «
»Sein Vater bestand auf dieser Schule. Allerdings wäre wohl überall das gleiche passiert. Zumindest was die Mitschüler angeht. Was die Lage in diesem Fall für den kleinen Phillip aber noch übler machte, war die Tatsache, daß es sich bei dem Schulleiter um einen ausgesprochenen Sadisten handelte. Er schlug die Kinder für die geringsten Vergehen - und er schlug sie wirklich brutal. Zudem hielt er noch eine Anzahl bösartiger Foltermethoden für sie bereit, zum Beispiel drei Tage und drei Nächte im finsteren Keller eingesperrt zu bleiben. Manche Schüler mußten sich völlig ausziehen und wurden dann mit mehreren Eimern eiskaltem Wasser übergossen. Oder ein Stofflappen wurde mit Urin getränkt, zusammengeknäult und dem armen Geschöpf, das es nach Ansicht des Schulleiters verdient hatte, in den Mund gestopft.«
Frances spürte ein Würgen im Hals. Sie schob ihren Teller zurück. Jetzt war auch ihr der Hunger vergangen. »Phillip stellte doch bestimmt nichts an, oder?«
»Bewußt ganz sicher nicht. Im Gegenteil. Er war ja wie gelähmt vor Angst und versuchte nur, auf gar keinen Fall Anstoß zu erregen. Aber gerade dann passiert einem natürlich ein Malheur nach dem anderen. Außerdem wurde er, wie gesagt, von den anderen Kindern gequält, und so wurde er oft für etwas bestraft, was sie ihm eingebrockt hatten - ausgekippte Tinte auf seinem Pult, ein ungemachtes Bett, Löcher in seiner Kleidung.«
»Das ist wirklich furchtbar, Tante Margaret! «
Margaret nickte bekümmert. » Der Schulleiter hatte es wohl auch gerade auf ihn besonders abgesehen. Und er fand einen Verbündeten in Phillips Vater, der die Überzeugung hegte, genau so werde ein Mann aus seinem Sohn.«
»Ich frage mich, wie man so grausam sein kann zu seinem eigenen Kind! Hat er damals schon versucht, sich das Leben zu nehmen? «
»Als Kind noch nicht. Er lief nur einige Male weg, wurde aber immer wieder zurückgebracht und mußte seine Flucht dann teuer bezahlen. Später, in der weiterführenden Schule, in der es kaum besser zuging, schnitt er sich die Pulsadern auf, wurde jedoch gefunden. Damals war er fünfzehn.«
»Wie alt ist er jetzt?«
»Vierundzwanzig. Sein Vater bestand
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