Das Haus Der Schwestern
wie meist, am Fenster und starrte hinaus in Dunkelheit und Regen. Nur eine kleine Lampe brannte und beleuchtete schwach sein Gesicht. Ein Lächeln erhellte seine angespannten Züge, als er Frances sah.
» Frances! « Er trat auf sie zu. »Wie geht es Ihnen? Fühlen Sie sich besser?« Es schien, als habe er, einem Impuls folgend, nach ihren Händen greifen wollen, aber seine Schüchternheit hinderte ihn daran. So blieb er mit hängenden Armen vor ihr stehen.
»Sie sehen besser aus als heute früh«, stellte er fest.
»Es geht mir auch besser. Ich wollte gerade mit der Köchin wegen des Abendessens sprechen. Sie essen doch mit mir?«
»Natürlich! « Er nickte eifrig. Wie immer machte irgend etwas in seinem Verhalten Frances verlegen.
» Ja, dann«, sagte sie, » wir sehen uns später.«
Er streckte den Arm aus, berührte sie aber wiederum nicht. » Frances! «
» ja? «
» Ich ... es hört sich sicher dumm an, aber ich bin sehr froh, daß ich Sie kennengelernt habe!«
O Gott, dachte Frances. Laut sagte sie: » Ich finde es auch nett, Sie zu kennen, Phillip.«
» Ich dachte nie, daß ich so etwas einmal zu einer Frau sagen würde. Ich meine, daß ich froh bin, sie zu kennen.« Er wußte immer noch nicht, wohin mit seinen Händen. Aber seine sonst so stumpfen, hoffnungslosen Augen leuchteten. »Ich dachte nie, daß ich so für eine Frau empfinden würde«, setzte er leise hinzu.
»Phillip, Sie kennen mich ja kaum«, erwiderte Frances und lachte unsicher.
»Ich kenne Sie. Ich kenne Sie viel besser, als Sie denken. Wissen Sie, ich habe häufig über Sie nachgedacht.«
Frances wußte nicht, was sie darauf erwidern sollte, und schwieg.
Phillip hatte natürlich das Gefühl, zu weit gegangen zu sein. Er schwieg nun ebenfalls, und schließlich sagte er stockend: » Ich habe Sie ... ich meine, ich habe Sie hoffentlich nicht in Verlegenheit gebracht?«
»Durchaus nicht«, versicherte Frances. Sie überlegte verzweifelt, wie sie der Situation entkommen könnte, ohne Phillip zu kränken. » Ich... wir sollten uns um das Abendessen kümmern, ja?«
Er war verletzt, das verrieten seine sensiblen, ausdrucksvollen Gesichtszüge. Er mühte sich, es nicht spürbar werden zu lassen, aber sein Lächeln wirkte jetzt aufgesetzt und angestrengt. »Gut«, sagte er, »gehen wir hinunter.«
Sie waren auf der Hälfte der Treppe angelangt, als ein wildes Hämmern an der Haustür sie beide zusammenzucken ließ.
»Das kann doch nicht Tante Margaret sein?« fragte Frances erschrocken.
Mr. Wilson eilte herbei. Seine Miene verriet Entrüstung über das ungebührliche Benehmen, das der unbekannte Besucher an den Tag legte. Er öffnete, und schon stürmte eine junge Frau an ihm vorbei in die Eingangshalle. Ihr Mantel klebte naß wie ein Scheuerlappen an ihr, die Haare hingen ihr wirr und triefend auf die Schultern. Sie blutete aus einer Wunde unterhalb des rechten Auges.
»Wohnt hier Frances Gray?« fragte sie.
»Darf ich um Ihren Namen bitten?« mahnte Wilson indigniert.
»Ich bin Miss Gray!« Frances kam die Treppe herunter. Sie konnte die junge Frau gerade noch festhalten, ehe diese zu Boden fiel. Gemeinsam mit Wilson stützte sie sie bis zu einem Stuhl und half ihr, sich zu setzen.
» Entschuldigung«, flüsterte die Fremde. Ihre Lippen waren schneeweiß. »Mir ist nur etwas schwindelig.«
Frances zog ein Taschentuch hervor und tupfte die Wunde ab. »Wilson, holen Sie bitte irgend etwas zum Desinfizieren«, befahl sie, » und, Phillip, bringen Sie Tante Margarets Brandy. Sie braucht etwas für ihren Kreislauf.«
Phillip eilte sofort gehorsam davon, während Wilson zögerte. »Wir wissen nichts über die Identität dieser...«, begann er.
»Louise Appleton«, sagte die Fremde mit schwacher Stimme. »Ich komme von Alice Chapman.«
»Von Alice?« Frances war sofort alarmiert. » Jetzt tun Sie endlich, was ich Ihnen gesagt habe!« fuhr sie Wilson an. Dann kauerte sie sich neben Louise und ergriff deren Hand. »Was ist mit Alice?«
»Sie wurde verhaftet. Sie ist verletzt. Es gelang ihr noch, mir Ihren Namen und Ihre Adresse zu nennen. Sie sollen Alices Verlobtem Bescheid sagen.« Sie kämpfte mit den Tränen. »Es war so furchtbar!«
»Die Polizei hat euch angegriffen?«
Louise konnte das Weinen nicht länger zurückhalten. »Ich habe es noch nie erlebt, daß Männer mit einer solchen Brutalität gegen Frauen losgehen«, schluchzte sie. »Sie haben Frauen in Hauseingänge getrieben und dort zusammengeschlagen. Sie haben sie
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