Das Haus Der Schwestern
beschäftigt war, um sich um den melancholischen jungen Mann mit der zerbrochenen Seele zu kümmern.
Er schrieb ihr Gedichte und schenkte ihr Blumen, doch Frances, völlig abwesend mit ihren Gedanken, begriff zu diesem Zeitpunkt nicht, daß er sich längst hoffnungslos in sie verliebt hatte. Sie beschäftigten nur zwei Dinge: das Frauenstimmrecht und eine gewisse unterschwellige Traurigkeit wegen John.
Phillip hatte keine Ahnung, daß Frances einen anderen Mann liebte und sich mit der Angst herumschlug, eine falsche Entscheidung getroffen zu haben, als sie dessen Antrag zurückwies. Er glaubte, ihre Ungeduld ihm gegenüber und ihre Geistesabwesenheit hingen allein mit ihrem Engagement für die Frauenrechtlerinnen zusammen. Er stellte sich in dieser Frage völlig auf ihre Seite und machte ihr immer wieder Mut; tat dies jedoch auf eine so schüchterne und zurückhaltende Weise, daß Frances kaum registrierte, hier auf einen Mitstreiter gestoßen zu sein. Manchmal ging sie mit ihm spazieren oder besuchte eine Theatervorstellung, aber das tat sie eher aus Mitleid, weil ihr hin und wieder schuldbewußt in den Sinn kam, daß sie sich um einen Menschen, der so viel Schlimmes erlebt hatte, mehr kümmern mußte.
Barbara setzte sich an den Tisch und probierte von dem Tee. Er schmeckte scheußlich, aber laut Aufschrift auf der Verpackung half er gegen Magenschmerzen. Sie wärmte ihre Hände an der heißen Tasse, trank in kleinen vorsichtigen Schlucken.
Sie vertiefte sich erneut in das Buch.
November / Dezember 1910
»Darf ich dich einen Moment stören, Frances?« fragte Margaret und streckte ihren Kopf ins Zimmer.
Frances saß auf ihrem Bett, einen dicken Wollschal um den Hals, vor sich ein Glas Milch mit Honig. Sie war blaß, ihre Augen glänzten fiebrig.
» Du siehst aber gar nicht gut aus«, stellte Margaret fest. Sie legte ihre Hand auf Frances’ Stirn. »Du hast Fieber!«
»Ich fühle mich auch ziemlich elend«, gab Frances zu. Sie kämpfte seit Wochen mit einer heftigen Erkältung, aber es wollte nicht besser werden.
» Weißt du, du tust mir wirklich leid«, sagte Margaret, »aber ich muß doch gestehen, ich bin recht erleichtert, daß du nun heute nicht zu dieser... wie heißt diese Veranstaltung?«
»Women’s Parliament.«
» Ja. Ich hätte mir große Sorgen gemacht. Man weiß nie, wie so etwas endet. Ich ... ich kann mich doch darauf verlassen, daß du hierbleiben wirst?«
Jetzt erst registrierte Frances, daß Margaret Mantel und Handschuhe trug.
»Gehst du noch fort?«
» Bridge-Tee bei Lady Stanhope. Ich wollte erst absagen, weil ich dachte, ich müsse hier sein, falls dir etwas passiert, und natürlich auch wegen Phillip, aber ... nun, ich könnte meine Freundinnen einmal wiedersehen ...«
Schuldbewußt erkannte Frances, wie sehr ihre Tante aus Sorge um die beiden jungen Leute in ihrem Haus ihr gewohntes Leben einschränkte.
»Geh nur«, sagte sie, »und mach dir keine Gedanken. Mir wird nichts passieren. Ich werde für den Rest des Tages in meinem Zimmer sitzen und versuchen, gesund zu werden. Keine Straßenschlachten, Tante Margaret!«
» Da bin ich wirklich beruhigt«, sagte Margaret erleichtert. » Du kümmerst dich auch ein wenig um Phillip, ja? Ihr könntet doch zusammen zu Abend essen!«
»Ehrlich gesagt, ich fürchte, ich werde keinen Hunger haben. Aber ich kann ihm Gesellschaft leisten. Mach dir einen schönen Tag und denke nicht dauernd über uns nach. Wir sind ja keine kleinen Kinder mehr!«
» Weißt du«, sagte Margaret, » ich habe es sehr oft bedauert, keine eigenen Kinder zu haben, aber allmählich fange ich an, auch die guten Seiten daran zu sehen.« Sie strich Frances über das Haar. »Du bist ein reizendes Mädchen, wirklich, und auch Phillip habe ich sehr gern. Aber«, sie wandte sich zur Tür, » man kommt nie ganz aus den Sorgen heraus, nicht?«
Frances schlief ein paar Stunden, während draußen der November-regen gegen das Fenster hämmerte und die frühe herbstliche Dunkelheit rasch hereinbrach. Als sie aufwachte, war es fünf Uhr. Im Haus herrschte Stille.
Frances stand auf. Sie fühlte sich besser, der Schlaf hatte sie gestärkt, und ihr Kopf schmerzte nicht mehr so heftig wie am Morgen. Tatsächlich verspürte sie sogar einen Anflug von Hunger.
Sie beschloß, in die Küche zu gehen und mit der Köchin das Abendessen zu besprechen. Auf dem Weg dorthin kam sie an Phillips Zimmertür vorbei, zögerte und klopfte dann an.
»Herein«, sagte Phillip.
Er stand,
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