Das Haus Der Schwestern
trat ein, brachte einen Schwung eisiger Schneeluft mit. Er hatte kältegerötete Wangen.
»Frühstück ist fertig«, meldete er.
»Mein Gott«, sagte Barbara schuldbewußt, »und ich liege noch im Bett! Es tut mir leid!« Sie sah, daß sein Haar naß war. »Wie ist das Wetter?«
»Es schneit. Ich habe den Weg zum Schuppen freigeschippt und Holz herübergebracht. Es scheint nicht aufhören zu wollen.« Er trat näher und berührte vorsichtig ihr Kinn. »Das sieht abenteuerlich aus!«
»Grün und blau? Es tut auch ziemlich weh.«
»Man könnte meinen, du seist in einen Boxkampf geraten. Wahrscheinlich hättest du gleich Eis drauflegen sollen. Davon haben wir schließlich genug!«
Sie schwang die Beine aus dem Bett. » Ich war zu aufgeregt wegen der Kassette, die ich gefunden hatte. Was gibt es zum Frühstück?«
»Tee, soviel du willst«, antwortete Ralph lakonisch, »ein halbes hartgekochtes Ei und eine Scheibe Brot für jeden. Es bleiben uns dann noch zwei Eier und zwei Scheiben Brot, etwas Käse, Butter und Marmelade. Dann haben wir nichts mehr.«
»Das übliche Feiertagsproblem werden wir dieses Jahr jedenfalls nicht erleben«, meinte Barbara, »wir werden uns keinerlei Gedanken machen müssen, wie wir die Pfunde loswerden, die man sich immer so anfuttert! «
»Wir werden schlank und gestählt zurückkommen«, ergänzte Ralph. » Hungern, Schnee schippen und Holz hacken kann ja nicht ohne Folgen bleiben.«
Sie lachten beide etwas mühsam, dann wies Ralph mit einer Kopfbewegung zu dem Papierstapel auf Barbaras Nachttisch. »Aha. Du liest es also wirklich!«
» Ja. Es ist äußerst interessant. Diese Frances Gray, deren Bild unten auf dem Kamin steht, gehörte zu den Frauen, die für das Frauenwahlrecht in England kämpften.«
»Na, großartig!« Wie viele Männer hegte Ralph eine latente Abneigung gegenüber Feministinnen, ohne tatsächlich Gegner ihrer Ziele zu sein. » Kommst du jetzt zum Frühstück?«
Barbara schlüpfte in ihren Bademantel. » Kannst du dir vorstellen, daß hier einmal eine sechsköpfige Familie und eine Haushälterin gelebt haben? « fragte sie, während sie hinter Ralph die Treppe nach unten ging. »Drei Kinder, Eltern, die Großmutter. Und ein Hund. Der Garten muß wunderschön gewesen sein im Sommer, und für eine bestimmte Zeit waren sie alle sehr glücklich.«
Ralph blieb stehen und drehte sich zu ihr um. In dem Dämmerlicht, das im Treppenhaus herrschte, konnte sie sein Gesicht nur schwach erkennen, aber um so deutlicher vernahm sie den Anflug von Bitterkeit in seiner Stimme.
» Eigenartig«, sagte er, »das erinnert mich ziemlich stark an meine Beschreibungen davon, was ich unter Glück verstehe. Bei dir stieß das allerdings immer auf völliges Unverständnis und sofortige Zurückweisung. Und nun scheinst du zu deiner eigenen Überraschung zu entdecken, daß es seinen Reiz haben könnte! «
Sie erwiderte nichts.
Später, nach dem kargen Frühstück, das ihre Mägen eher aufwühlte als besänftigte, sagte Ralph: »Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber dieser verdammte Schneesturm scheint kein Ende zu finden. Wenn das noch sehr lange so geht, bekommen wir Probleme.«
»Wegen des Essens, meinst du?«
» Wir haben nur noch für morgen früh etwas. Und das auch nur, wenn wir heute für den Rest des Tages nichts mehr essen, was schwer sein wird. Dann sitzen wir auf dem trockenen.«
Barbara nickte. Zum erstenmal, seitdem sie hier waren, keimte echte Angst in ihr auf. Sie sah Unmengen Schnee vom Himmel herabrieseln, tagelang, wochenlang, und sie und Ralph saßen in dieser Küche vor ihren Kaffeetassen, und irgendwann vor ihren Teetassen, wenn auch der Kaffeevorrat aufgebraucht war, und ihre Gedanken kreisten nur noch um Essen, um nichts sonst auf der Welt...
Hör auf, befahl sie sich, rede dir nicht solchen Unsinn ein!
»Ich meine, so schnell verhungert man natürlich nicht«, fuhr Ralph nun fort, »aber dieser Zustand ist einfach ungemütlich, und ich habe wenig Lust, ihn noch sehr lange andauern zu lassen.« Er schob seinen Teller zurück, auf dem ein paar Stücke einer zerbrochenen Eierschale lagen, kläglicher Rest einer kläglichen Mahlzeit.
»Es fängt an, mir auf die Nerven zu gehen«, sagte er, » morgen werde ich vierzig Jahre alt, und das Festessen wird wiederum aus einem hartgekochten Ei und einer Scheibe Brot bestehen. Ich habe nachts schon Visionen von üppig beladenen Tellern und Schüsseln!«
Barbara schenkte sich Kaffee nach. »Mir geht es
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