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Das Haus Der Schwestern

Das Haus Der Schwestern

Titel: Das Haus Der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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dort ein Martyrium begann.

    Phillip, der depressive Phillip, von dem Frances bislang geglaubt hatte, er könne kaum etwas anderes, als aus dem Fenster zu starren oder melancholische Gedichte zu verfassen, schaffte es irgendwann tatsächlich, eine Droschke zu ergattern, und zwar kurz vor der Bond Street. Sie waren zwar bereits völlig durchweicht vom Regen, aber so dauerte es nun nicht mehr lange, bis sie Islington im Norden Londons erreichten, wo das Gefängnis lag. Der Kutscher weigerte sich allerdings, bis zum Eingang zu fahren, da bereits am Beginn, der Parkhurst Road zu erkennen war, daß vor dem Gefängnis eine Straßenschlacht tobte.
    »Da hinein wage ich mich nicht! Da wird ja mein Wagen zu Schrott! «
    »Wir steigen hier aus«, sagte Phillip rasch und kramte in seiner Brieftasche.
    »Das sind wieder diese verdammten Weiber«, knurrte der Kutscher. » Ich frage mich, wann die Regierung endlich kurzen Prozeß mit denen macht! Ich sage Ihnen, bei den Wahlen in vier Wochen bekommt die Partei meine Stimme, die verspricht, mit diesem Gesindel aufzuräumen!«
    Phillip drückte ihm ein paar Pfundnoten in die Hand, sagte hastig: »Stimmt so!«, dann zog er Frances hinter sich her aus dem Gefährt.
    Sie standen im Regen auf der Straße, und auf Phillips Miene spiegelte sich die Verzweiflung darüber, in diese unheilvolle Geschichte verstrickt worden zu sein. Vor dem Portal des Gefängnisses demonstrierten an die hundertfünfzig Frauen für die Freilassung ihrer inhaftierten Gefährtinnen. Polizisten versuchten sie auseinan-derzutreiben, wobei sie oft wahllos auf die Frauen einschlugen und willkürlich Festnahmen aus der Menge heraus tätigten.
    Phillip, dem vor Kälte die Zähne aufeinanderschlugen, hielt Frances am Arm fest. »Frances, Sie können da jetzt nicht hinein! Sie kommen nicht durch! Lassen Sie uns nach Hause fahren. Lassen Sie uns morgen ...«
    Unwillig schüttelte sie seine Hand ab. »Ich will sehen, was mit Alice los ist, und ich werde dort jetzt hineingehen. Sie müssen ja nicht mitkommen!«
    Schon zog sie ihren nassen Mantel enger um sich und rannte die Straße entlang. Sie hörte, wie Phillip leise fluchte, ihr jedoch folgte. Sie drängelte sich zwischen den demonstrierenden Frauen hindurch, hörte Schreie und Fluchen und die wütenden Stimmen der Polizisten wie durch eine Nebelwand. In ihrer Aufregung nahm sie nicht wirklich wahr, daß sie dabei war, in ein unüberschaubares Chaos zu geraten, daß sie sich unmittelbar in Gefahr begab.
    Direkt vor ihr zerrte ein Polizist eine ältere Frau an den Haaren hinter sich her, ein anderer trat einer reglos am Boden liegenden Gestalt die Spitze seines Stiefels in die Rippen. Eine sehr elegante Frau, die einen Mantel mit Pelzbesatz und Ohrringe mit großen Smaragden trug, hielt einen Laternenpfahl umklammert und spuckte Blut in den Rinnstein.
    Es war ihr Anblick, der Frances aus ihrer Trance aufwachen ließ. Sie trat zu ihr — irgend jemand fiel gegen sie, und sie erhielt einen harten Tritt gegen das Schienbein, aber sie ignorierte den Schmerz - und griff nach ihrer Hand. »Kann ich Ihnen helfen?«
    Die Frau, die sich nach vorn gekrümmt hatte, richtete sich langsam auf, wischte sich mit dem Handrücken das Blut vom Mund. »Geht schon«, sagte sie heiser, »sie haben mir nur zwei Zähne ausgeschlagen.«
    Frances starrte sie entsetzt an, und nun begriff sie endlich, was um sie herum passierte. Sie hörte die Schreie, sah, wie Frauen zu fliehen versuchten und wie Männer ihnen nachsetzten, um sie mit bloßen Fäusten zu traktieren. Sie sah aber auch Frauen, die wie Wildkatzen kämpften, um sich traten und schlugen und sich in Polizeibeamte förmlich verkrallten. Es brannten nur wenige Straßenlaternen hier; Nebel und Regen taten ein übriges, der Szenerie eine gespenstische Unwirklichkeit zu verleihen.
    Sie drehte sich um und fragte: »Phillip?«, aber sie hatte ihn in der Menge verloren. Sie brauchte einen Augenblick, um ihre Orientierung wiederzufinden, und in diesem Moment geschah es: Von irgendwo aus der Dunkelheit, von der kleinen Kirche her, die dem Gefängnis gegenüber an der Gabelung Parkhurst Road und Camden Road lag, kam ein Stein geflogen. Ein großer, kantiger, häßlicher Stein. Er verfehlte Frances’ Kopf um Millimeter und traf einen Polizisten, der nur wenige Schritte von ihr entfernt stand, an der Schläfe. Der Mann brach in die Knie und fiel dann mit einem harten Schlag der Länge nach auf den Boden. Er gab keinen Laut von sich.
    Frances,

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