Das Haus Der Schwestern
getaucht.
Frances tat die ganze Nacht kein Auge zu. Sie fror erbärmlich, und ihr Kopf schmerzte mit jeder Minute mehr. Sie spürte förmlich, wie das Fieber stieg. Wirre Gedanken kamen ihr in den Sinn. Was war aus Phillip geworden? Hatte er mitbekommen, daß sie verhaftet worden war? Die arme Tante Margaret hatte sicher einen Schock erlitten. Ihre Nichte im Gefängnis! Nun mußte sie ihrem Bruder Bescheid sagen und dabei auch eingestehen, daß Frances seit längerem mit den Frauenrechtlerinnen umherzog. Sie würde einigen Ärger mit Charles bekommen und war an der ganzen Geschichte doch völlig unschuldig.
Sie dachte auch an Alice. Befand sie sich hier im selben Gefängnis? Oder hatte man sie in ein Krankenhaus gebracht? War sie schwer verletzt? Würde irgend jemand George benachrichtigen?
Was mache ich, wenn ich ernsthaft krank werde, fragte sie sich, wenn ich eine Lungenentzündung bekomme? Wird man mir helfen, oder lassen sie mich hier erfrieren?
Ihre Zähne wollten ständig aufeinanderschlagen, vor Kälte oder Fieber, sie wußte es nicht. Sie mühte sich, ruhig zu bleiben, sie wollte nicht, daß die anderen aufwachten - falls sie überhaupt schliefen.
Sie zog die Decken enger um sich und dachte neidvoll, daß Pamela und Helen es nun doch besser getroffen hatten als die anderen: Sie konnten sich wenigstens gegenseitig wärmen.
Irgendwann, es war noch tiefdunkel draußen, ging das Licht an und tauchte die ganze Zelle in natkte, häßliche Helligkeit. Gleichzeitig waren aus dem ganzen Gebäude Geräusche zu hören: Türen, die geöffnet und geschlossen wurden, klirrendes Geschirr, Stimmen, Rufe, rasselnde Schlüssel.
Die Frauen richteten sich auf. Pamela und Lucy waren völlig verschlafen, die anderen hatten, genau wie Frances, nur wach gelegen. Frances hatte das Gefühl, ihr würden hundert Nadeln durch den Kopf gebohrt, als sie aus ihrem Bett kletterte. Ihre Haare waren inzwischen getrocknet, aber sie sahen sicher aus wie ein unentwirrbares Gestrüpp.
In der eiskalten Zelle war natürlich nicht ein einziges Kleid getrocknet. Es erwies sich als so unangenehm, sich jetzt wieder anzuziehen, daß alle fanden, es wäre besser gewesen, sie hätten sich am Vorabend gar nicht erst ausgezogen. Man brachte ihnen eine Schüssel mit kaltem Wasser; sie wuschen sich ihre Gesichter und halfen einander gegenseitig, das Haar einigermaßen in Ordnung zu bringen. Es gab weder Kamm noch Bürste, und so dauerte es lange, bis die Prozedur abgeschlossen war. Dann setzten sie sich auf die unteren Betten und warteten, frierend und müde.
Nach einer Weile erschien eine Aufseherin, die sympathischer wirkte als die vom Abend zuvor. Sie brachte das Frühstück, das zu Frances’ Überraschung üppiger ausfiel, als sie erwartet hatte. Es gab Kaffee, reichlich Brot, Butter und Marmelade. Die Aufseherin stellte das Tablett in der Ecke ab und verschwand wieder. Lucy hatte gierige Augen bekommen, sie wollte sofort aufstehen.
Doch Pamela drückte sie auf das Bett zurück. » Nein! « sagte sie energisch.
Alle starrten sie an. Nur Carolyn nickte sofort. »Sie haben recht, Pamela«, sagte sie, »wir werden auf unsere Inhaftierung so reagieren, wie es unsere Mitstreiterinnen tun und immer getan haben.«
» Hungerstreik «, sagte Frances.
Pamela sah die anderen an. » Einverstanden? « Die Frage war Formsache, überdies klang sie wie ein Befehl. Schweigend bekundeten alle ihr Einverständnis.
»Nach ein bis zwei Tagen wird es hart«, warnte Carolyn, »aber wir müssen durchhalten. Vielleicht lassen sie uns ja auch bald schon wieder frei.«
»Dann genehmigt sich jetzt jede ihren Becher Kaffee«, bestimmte Pamela, » aber das ist alles. Ansonsten nehmen wir keinerlei Nahrung auf.«
Der heiße Kaffee stärkte ihrer aller Lebensgeister. Aber noch während sie ihn in kleinen Schlucken trank, fiel Frances plötzlich ein, was Alice ihr über einen Hungerstreik erzählt hatte, an dem sie selbst teilgenommen hatte: Man hatte die Gefangenen schließlich zwangsernährt.
Es sei, so hatte Alice berichtet, das Schlimmste gewesen, was ihr je widerfahren sei.
Frances wurde am vierten Tag nach ihrer Festnahme zum ersten Mal zwangsernährt. Sie war, wie ihre Zellengenossinnen auch, standhaft geblieben, obwohl ihnen eine augenscheinlich gute Verpflegung in die Zelle gebracht wurde. Noch Stunden, nachdem man das Essen wieder fortgetragen hatte, war der kleine Raum erfüllt von dem Duft. Frances war nicht sicher, ob sie alleine durchgehalten hätte,
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