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Das Haus Der Schwestern

Das Haus Der Schwestern

Titel: Das Haus Der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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setzen versuchte, um ihr zu helfen. Vielleicht fanden sie sogar jemanden, der bezeugen konnte, daß sie den Stein nicht geworfen hatte. Es irritierte sie zwar, daß noch niemand sich hatte blicken lassen, aber Pamela hatte gemeint, das würde im Moment vermutlich nicht erlaubt; es hatte so viele Festnahmen gegeben, daß die Zustände chaotisch waren und alles durcheinanderging.
    Zwei Männer holten sie gegen Mittag ab. Es waren große, bäreni-starke Kerle, wie man sie inzwischen grundsätzlich für derartige Aufgaben abstellte; eine Reaktion auf die heftige Gegenwehr, die die Frauenrechtlerinnen an den Tag legten. Der ältere von ihnen fragte Frances, ob sie es nicht vorziehe, ihren Hungerstreik abzubrechen, und ihnen allen, vor allem aber sich selbst, die nun folgende Prozedur ersparen wolle; aber Frances sagte, nein, das wolle sie nicht. Sie fand es lächerlich, wie diese beiden kräftigen Männer sie nun in ihre Mitte nahmen und jeder sie an einem Arm festhielt, so als fürchteten sie, sie könne jeden Moment davonlaufen oder gar auf sie losgehen. Sie hatte Fieber, war vom Hunger und der Krankheit völlig entkräftet, und ganz sicher stellte sie in diesem Moment keine ernstzunehmende Gefahr dar.
    »Halte durch!« rief ihr Carolyn hinterher, »es ist schlimm, aber man stirbt nicht daran! «
    Sie hatte weiche Knie vor Angst. Sie fragte sich, wie sie nur in eine so schreckliche Lage hatte geraten können. Sie mußte all ihre Energie aufbringen, um nicht klein beizugeben, ihre Begleiter nicht zu bitten, umzukehren, und ihnen nicht zu versprechen, freiwillig zu essen.
    Ich muß da jetzt durch, sagte sie sich, Alice hat es überstanden und Pamela auch. Ich will nicht die sein, die zusammenbricht.
    Über eine dunkle Treppe mit ausgetretenen Stufen gelangten sie in den Keller des Gefängnisgebäudes. Sie gingen einen langen, engen Flur entlang, in dessen Wänden sich rechts und links verschlossene Türen aus Stahl befanden. Beklommen fragte sich Frances, was sich dahinter verbergen mochte.
    Am Ende des Ganges stand eine Stahltür offen, und sie betraten einen fensterlosen, quadratischen Raum, leer und kahl bis auf einen klapprigen Stuhl.
    »Setzen Sie sich«, sagte einer der Männer. Frances ließ sich auf den Stuhl fallen. Das Laufen hatte sie angestrengt, sie merkte, daß sie kränker war, als sie gedacht hatte. Über ihrem Kopf schien eine Glocke zu liegen, die alle Geräusche gedämpft an ihr Ohr dringen ließ und Frances in eine dumpfe Benommenheit hüllte.
    Sie wußte, sie würde sich nicht wehren. Sie hatte überhaupt nicht die Kraft dazu. Ihre einzige Widerstandsleistung bestand darin, daß sie sich weigerte, den Hungerstreik abzubrechen. Darüber hinaus würde sie alles über sich ergehen lassen.
    Die Männer standen noch immer wie eine Schildwache neben ihr. Sie unterhielten sich, aber während sie sich Frances gegenüber bemüht hatten, ein halbwegs klares Englisch zu sprechen, verfielen sie nun in derart ausgeprägtes Cockney, daß Frances kaum etwas verstand. Sie versuchte gar nicht erst, etwas mitzubekommen, sondern hoffte nur, daß alles rasch vorüber wäre.
    Es vergingen ein paar Minuten, dann betraten zwei weitere Männer den Raum, gefolgt von zwei Gefängnisaufseherinnen, die ebenfalls Größe und Statur von Männern hatten. Für die Zwangsernährung schienen sie ihre kräftigsten Leute abzustellen, eine deutliche Aussage über die Erfahrungen, die sie beim Anwenden dieser Methode gemacht hatten.
    »Bindet sie fest«, befahl eine der Aufseherinnen mit träger Stimme.
    Frances fühlte, wie rauhe Stricke um ihre Handgelenke, ihre Fußknöchel, ihren Oberkörper geschlungen und mit einem harten Ruck festgezogen wurden. Sie unterdrückte mit Mühe einen Schmerzenslaut. Warum taten sie das? Hatte es sich als notwendige Vorsichtsmaßnahme erwiesen in der Vergangenheit, oder war die Demütigung des Opfers einfach Teil der Strategie? Sie mochten nur zu gut wissen, wie ein Mensch sich fühlte, der, zur völligen Bewegungsunfähigkeit verurteilt, festgebunden auf einem Stuhl saß, hilflos und ausgeliefert.
    Bande, dachte sie, und zwischen Fieber, Elend und Hunger kochte plötzlich Zorn in ihr hoch. Verdammte Bande!
    Und dann sah sie den Schlauch. Schwarz und dick. Viel zu dick! Sie konnten nicht ernsthaft annehmen, daß sie in der Lage wäre, ihn zu schlucken. Sie konnten auch nicht glauben, sie könnten ihn ihr einfach in den Rachen und dann den Hals hinunter stoßen, denn sie würde daran ersticken, sie würde

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