Das Haus der Sonnen
fuhr sie fort. »Unsere Heimat aber werden wir kaum mehr wiedererkennen. Die Goldene Stunde wird in fünfhundert oder tausend Jahren vielleicht noch existieren, doch sicher bin ich mir da nicht. Meine Splitterlinge werden sich in einem anderen Sonnensystem versammeln, um eine Welt, die noch keinen Namen hat. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Menschheit zu dem Zeitpunkt damit begonnen haben wird, sich in den interstellaren Raum hinein auszubreiten. Vielleicht wird mein Beispiel den Prozess sogar beschleunigen. Während der langen Rückreise werden meine tausend Raumschiffe – falls dann noch so viele übrig sind – einige der Welten, die sie auf der Hinreise erkundet haben, wiederbesuchen. Vielleicht werden sie feststellen, dass diese Welten seitdem besiedelt wurden. Sollte das der Fall sein, wird es zu einer merkwürdigen Begegnung kommen: Die Siedler werden Flüchtlingen aus der Vergangenheit begegnen, die gleichzeitig Botschafter der Zukunft sind. Doch selbst das wird für mich erst der Anfang sein. Nach diesem Umlauf von ein paar hundert Lichtjahren, die tausend Menschenjahren entsprechen, werden meine Splitterlinge abermals zusammenkommen. Sie werden ihre Erinnerungen austauschen. Und dann werden sie wieder an Bord ihrer Raumschiffe gehen und erneut in die Weite aufbrechen. Diesmal werden sie der Siedlungswelle vorauseilen und erst dann anhalten, wenn sie mehrere Hundert Lichtjahre zurückgelegt haben. Sie werden weitere Welten besuchen. Am Ende dieses Umlaufs – der diesmal länger dauern wird als der vorige – werden sie fast tausend Lichtjahre von der Goldenen Stunde entfernt sein. Inzwischen werden sie einigen der anomalen Strukturen nahe gekommen sein, die wir im interstellaren Raum entdeckt haben. Meine Splitterlinge werden die ersten Menschen sein, die mit diesen geheimnisvollen Gebilden in Berührung kommen. Sie werden als Erste in Erfahrung bringen, ob es vor uns noch andere gab; ob wir die erste Spezies sind, welche die Galaxis für sich beansprucht. Vielleicht sind uns auch schon andere mit ähnlichen Raumschiffen zuvorgekommen – schließlich spreche ich von einem Zeitraum von tausend Jahren. Aber Sie verstehen, worauf ich hinauswill. Irgendjemand muss den ersten Schritt tun. Das kann ebenso gut ich sein.«
»Wie viele Umläufe soll es geben?«, fragte jemand.
Sie zuckte die Achseln, als hätte sie sich diese Frage noch nie gestellt. »So viele, wie es braucht, bis es keinen Spaß mehr macht. Jeder Umlauf wird länger dauern als der vorige, bis meine Raumschiffe die Milchstraße umrundet haben. Bis dahin wird die Menschheit Zeit gehabt haben, sich auf alle bewohnbaren Sonnensysteme der Galaxis auszubreiten. Ich glaube, so schnell wird einem das Touristendasein nicht langweilig. Weshalb also nicht eine Weile auf Reisen zubringen und abwarten, was passiert?«
Ludmilla Marcellin beantwortete nacheinander unsere Fragen und entkräftete alle Einwände und Spitzfindigkeiten, die vorzubringen jemand die Tollkühnheit besaß. Die Technologie für das Einfrieren und Auftauen der Klone? Seit dem Beginn des Weltraumzeitalters hatte noch niemand einen Menschen eingefroren und anschließend wiederbelebt. Egal: Mittels eines Crashkurses in technischer Wiederbelebung würden sich die Marcellins die erforderlichen Kenntnisse aneignen. Die Raumschiffe würden nicht so lange warten müssen, bis die Technik perfektioniert wäre; die Klone könnten erst einmal wach bleiben, und die neuesten Erkenntnisse könnte man ihnen auf dem Funkweg übermitteln.
Die Technologie für das Verschmelzen der Erinnerungen von tausend Einzelwesen? Eine lächerliche Frage. Im Ansatz war die Technik bereits verfügbar. Ich brauchte nur daran zu denken, wie der Puppenpalast mit meinen Erinnerungen umgegangen war, um zu wissen, dass sie in der Beziehung Recht hatte. In tausend Jahren würde das vermutlich ganz selbstverständlich sein. Mit der gleichen Unvermeidlichkeit würden die Splitterlinge sich die erforderlichen Techniken aneignen, um diese Erinnerungen über gewaltige Lebensspannen hinweg zu managen. Ludmilla Marcellin betrieb keinen solchen Aufwand, um ihre Klone nach zwei oder drei Umläufen an Altersschwäche sterben zu lassen. Die menschliche Rasse mochte sich mit der gegenwärtigen Lebensspanne zufriedengeben, doch die Splitterlinge sollten nicht weniger als physische Unsterblichkeit erlangen (oder zumindest in der Lage sein, ihre Erinnerungen und Persönlichkeiten auf neue Körper zu übertragen), sonst wäre die
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