Das Haus der Sonnen
Daumen am Glas zu kratzen, neigte es behutsam und schwenkte den Wein umher, ganz gebannt vom Spiel der Reflexe, als wäre dies die faszinierendste Erscheinung im ganzen Universum. »Ich kann nur hoffen, dass sich meine Unruhe legen wird, wenn ich erst einmal mit meinen Leuten wiedervereint bin.« Er hob das Glas. »Ich glaube, ich sollte einen weiteren Toast ausbringen. Auf das Wohl der Familie Gentian. Lang möge sie leben.«
Campion und ich stießen über den Tisch hinweg mit ihm an. Ich fixierte Doktor Meninx so lange, bis auch er sich anschloss.
»Ich hoffe, Sie werden Vergnügen an den Tausend Nächten haben«, sagte ich. »Ich weiß nicht, ob sich diese Reunion mit den vorherigen wird messen können, doch ich kann Ihnen versprechen, dass Sie bei anderen Familien keine besser organisierte Veranstaltung erleben werden. Wir haben schon immer die besten Feste gegeben.«
»Werden Sie bald in Stasis gehen?«, fragte Hesperus.
»Campion und ich müssen noch ein paar Arbeiten erledigen, bevor wir schlafen gehen können.«
»Sie müssen Geschichten fabrizieren«, sagte Doktor Meninx mit unverhohlener Genugtuung. »Stränge editieren, Erinnerungen löschen, andere falsifizieren, und das alles nur, um das Ausmaß ihrer Verstrickung herunterzuspielen. Ich kenne natürlich die ganze schmutzige Wahrheit, so dass der ganze Aufwand vergeblich sein dürfte.«
»Und wir wissen, dass Sie ein Leugner sind«, sagte ich. »Das sollten Sie bedenken, bevor Sie unserer Familie dummes Zeug erzählen – wenn sich herausstellt, was für ein unangenehmer, selbstgerechter Zeitgenosse Sie sind, könnte der Empfang nämlich ziemlich kühl ausfallen.«
»Aus dem Mund des Doktors klingt das schlimmer, als es ist«, sagte Campion mit gezwungenem Lächeln. »Wir haben keineswegs vor, falsche Alibis zu konstruieren. Wir strukturieren lediglich die Fakten. Wahrscheinlich ist das eh nutzlos, aber wenn wir sie auf ein, zwei kurze Begegnungen reduzieren können, dann kommen wir vielleicht mit einer leichten Rüge seitens der Familie noch glimpflich davon.«
»Birgt das nicht hohe Risiken?«
»Das schon«, räumte Campion ein, »doch was bleibt uns anderes übrig?«
»Wenn Sie Informationen aus einem Strang löschen – sozusagen aus dem öffentlichen Speicher -, was passiert dann mit den Erinnerungen, die Sie im Kopf behalten? Müssen die ebenfalls gelöscht werden?«
»Nein«, antwortete ich, ohne Campions betretenen Blick zu beachten. »Diese Erinnerungen löschen wir nicht, auch wenn wir dies zweifellos tun könnten – das ist ein recht simpler Vorgang. Campion glaubt sogar, es wäre sicherer, wenn wir dies täten.«
»Es tut mir leid«, sagte Hesperus. »Ich wollte das Gespräch nicht auf ein heikles Thema lenken.«
»Schon gut«, erwiderte ich seufzend. »Schauen Sie, Campion und ich sind in neunzig Prozent der Fälle einer Meinung. In einem Punkt – na schön, in mehreren Punkten – gehen unsere Ansichten auseinander, und zwar unter anderem in der Frage, wie wir mit Erinnerungen umgehen, die nicht ins Gesamtbild passen. Ich bin dafür, sie zu behalten. Campion möchte sie löschen, um Schwingel, Betonie und den anderen keinen Angriffspunkt zu bieten. Verdammt nochmal, ich verstehe seinen Standpunkt. Allerdings glaube ich, dass eine Erfahrung nur dann etwas taugt, wenn man sich anschließend auch daran erinnert.« Ich blickte in mein leeres Glas. »Mit eigenen Augen etwas Wundervolles zu schauen – das ist an sich schon eine tolle Sache. Aber wenn zwei Personen es sehen, zwei gemeinsam, die Händchen halten, sich umarmen und wissen, dass diese Erinnerung für den Rest ihres Lebens ihnen gehören wird, doch dass jeder von ihnen nur eine unvollständige Hälfte besitzen wird und dass das Ganze nur dann existieren kann, wenn sie beide zusammenkommen und sich über diesen Moment unterhalten … dann ist das mehr als die Summe seiner Teile. Ich glaube, ich würde lieber sterben, als all diese Erinnerungen zu verlieren.«
»Ich finde Ihre Überzeugungen bewundernswert. Mir hat sich der Wert meiner Erinnerungen erst jetzt erschlossen, da ich sie verloren habe.«
»Ich glaube, ich sollte meine Tankchemie anpassen«, bemerkte Doktor Meninx. »Mir ist übel.«
»Ich wäre Ihnen bei der Anpassung der Tankchemie sehr gerne behilflich«, sagte Hesperus.
»Er hat mir gedroht!«, kreischte die Ausschnittfigur. »Haben Sie das gehört? Er hat mir gedroht!«
Hesperus machte Anstalten, sich zu erheben. »Ich glaube, ich sollte mich
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