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Das Haus der Sonnen

Das Haus der Sonnen

Titel: Das Haus der Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds , Norbert Stöbe
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allmählich zurückziehen. Doktor Meninx vermag über die makaberen Phantasiegebilde seiner Einbildung offenbar nicht hinauszublicken. Das ist schade, denn ich fand die Unterhaltung sehr anregend.«
    »Tatsächlich?«, fragte ich.
    »Ja. Gerade eben – als wir über den Ursprung meines Volkes und die mögliche Natur meines Auftrags gesprochen haben – ist mir etwas in den Sinn gekommen. Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass diese Erinnerung von besonderer Bedeutung ist. Ich hoffe, Sie verzeihen mir.«
    »Weswegen?«, fragte ich.
    Hesperus hob das Kelchglas und drehte es langsam in der Hand, bis die ihm zugewandte Seite nach außen wies. In das Glas war ein kleines, sehr detailreiches Bild eingraviert. Obwohl der Tisch zwischen uns war, konnte ich erkennen, dass es erstaunlich wirklichkeitsgetreu war, die Linien so hell und dünn wie mit dem Laser eingebrannt. Ich vergegenwärtigte mir, wie er mit der Daumenspitze am Glas gekratzt hatte; während ich die Erinnerung abspulte, meinte ich vor mir zu sehen, wie er das Glas mit den anderen Fingern langsam drehte, während er mit einer Reihe präziser vertikaler Linien ein zweidimensionales Bild einritzte. Dabei hatte er die ganze Zeit den Eindruck gemacht, er schenke uns seine volle Aufmerksamkeit.
    »Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich das Glas behalten würde?«, fragte Hesperus.

Sieben
     
     
     
     
     
    Ich stieg die Metallleiter hoch, die auf Doktor Meninx’ Tank hinaufführte. Unter meinen Füßen vibrierte der Gitterrost von den unaufhörlich arbeitenden Pumpen und Filtersystemen. Unter dem Gitter befand sich ein flaschengrüner Glasbehälter, dessen Wand so dick war, dass der darin schwimmende Bewohner nur schemenhaft zu erkennen war. Ich ging zur Vorderseite des Tanks und kniete dort nieder, löste mehrere Arretierungen und klappte eine an quietschenden Scharnieren befestigte Abdeckung zurück, bis sie flach auf dem Gitterrost zu liegen kam. In die Oberseite des Tanks war eine Luke eingelassen. Ich hielt mich sorgsam fest und drehte die Luke gegen den Uhrzeigersinn. Nach mehreren Umdrehungen konnte ich sie aufklappen.
    In dem Glas, das so dick war wie meine Hand, war ein kreisförmiges Loch zum Vorschein gekommen, in dem dunkle, brodelnde Flüssigkeit schwappte. Ich beugte mich vor, bis ich das Gesicht durch das Loch ins Wasser strecken konnte. Eigentlich war es kein Wasser, sondern eine blutwarme chemische Brühe, die Doktor Meninx nicht nur vor der Schwerkraft schützte, sondern ihm auch das Atmen erlaubte und ihn mit verschiedenen Nährstoffen versorgte, die er durch die Haut und verschiedene Membranen aufnahm.
    Mit unscharfem Blick spähte ich in die nahrhafte Suppe und machte ein Etwas aus : eine große, dunkle Gestalt, stellenweise muschelbesetzt, vorne spitz zulaufend, mit anzüglich funkelnden Augen in den Vertiefungen an der Seite dessen, was ich für den Kopf hielt. Vielleicht waren es ja gar keine Augen, sondern hoch spezialisierte Sinnesorgane, oder aber sie waren ganz und gar funktionslos. Ich meinte zu sehen, wie aus seiner Flanke eine Gliedmaße oder Flosse hervorwuchs, doch da es in dem Tank dunkel war, konnte ich es nicht genau erkennen.
    Bis zu den Ohren eingetaucht, sagte ich: »Hier bin ich. Was wollten Sie mir unbedingt persönlich sagen, Doktor?«
    »Es geht um Hesperus.« Seine Stimme war ein gurgelndes Grollen, das gerade so eben zu verstehen war. »Worum sonst?«
    Ich zog das Gesicht heraus und nieste, dann streckte ich es wieder in die Brühe. »Womit hat er Sie denn jetzt schon wieder geärgert?«
    »Ich habe etwas über ihn herausgefunden. Es war reiner Zufall, doch meine Absichten waren redlich. Ich wollte etwas mit ihm besprechen, um die Wogen zwischen uns ein wenig zu glätten …«
    »›Die Wogen zu glätten‹, das sieht Ihnen gerade ähnlich, Doktor.«
    »Glauben Sie, was Sie wollen. Ich weiß nur, dass ich eine gemeinsame Verständigungsbasis herstellen wollte, damit wir für den Rest der Reise einen Umgang pflegen können, wie er sich für zivilisierte Menschen geziemt. Ich ging zu der Kabine, die Sie ihm überlassen haben. Haben Sie ihn schon mal in seiner Kabine besucht, Campion?«
    »Hin und wieder. Weshalb fragen Sie?«
    »Haben Sie sich vorher angemeldet? Haben Sie ihm zuvor mitgeteilt, dass Sie ihn besuchen wollten?«
    Ich musste niesen und kniff mir die Nase zu, bevor ich antwortete. Die Augen hielt ich geschlossen, denn sie hatten von der Flüssigkeit zu brennen begonnen.
    »Das weiß ich nicht

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