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Das Haus der Sonnen

Das Haus der Sonnen

Titel: Das Haus der Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds , Norbert Stöbe
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wieder tat es einen kaum gedämpften Schlag, wenn wir gegen einen größeren Brocken prallten, doch ich war bereits mit den Nerven am Ende, da machte mir das auch nichts mehr aus.
    Dreieinhalb Stunden nach dem Eintritt geriet die erste Läsion in Sicht. Sie tauchte wie ein heller Landschaftskeil aus sich lichtendem Nebel aus der Staubwolke hervor. Sie war unregelmäßig geformt, am einen Ende abgeflacht und gerade, in der Mitte geschwungen. Am anderen Ende lief sie in gewaltige gebogene Finger aus. Ein sanftes, milchiges Leuchten ging von ihr aus.
    Sie jagte mir eine Höllenangst ein.
    Ich krallte die Hand um das metallene Brückengeländer, denn es hätte mich nicht überrascht, wenn das Schiff plötzlich ausgebrochen wäre.
    Die Läsion folgte unter dem Gravitationseinfluss der Sonne der Umlaufbewegung der Wolke, doch es gab zahllose Staubansammlungen, die mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten ihren eigenen Kurs verfolgten. Früher oder später würde ein Zusammenprall so viel Energie freisetzen, dass eine Transformationswelle die Läsion durchlaufen würde. Man konnte nur raten, was dann geschehen würde. Die Läsion würde entweder verschwinden, wobei die darin aufgespeicherte Energie in den Kern des Raum-Zeit-Gefüges zurückgesaugt würde, woher sie auch stammte – oder sie würde explodieren und dabei eine so große zerstörerische Gewalt entfalten, die ausgereicht hätte, einem Planeten seine Kruste zu entreißen.
    Am sichersten war es, sich von einer Läsion möglichst fernzuhalten.
    »Wir sollten von jetzt an Funkstille einhalten«, sagte Campion. »Das Risiko der Streuung ist zu groß. Ich sende dir ein Signal, wenn wir die Sonne passiert haben und die Wolkendichte wieder deutlich gesunken ist.«
    Weitere fünf oder sechs Stunden verstrichen – ich hatte das Gefühl, es dauere eine halbe Ewigkeit. Ich war ein Splitterling, mental darauf eingestellt, lange Perioden von Einsamkeit zu ertragen. Meine mentale Programmierung war jedoch schon vor langer Zeit Amok gelaufen.
    Jetzt brauchte ich die Nähe eines anderen Menschen, um mich einfach nur als Mensch zu fühlen.
    Hesperus konnte ich zwar nicht sehen, doch mir war seine geplante Flugbahn bekannt. Seit dem Start hatte er sich noch nicht gemeldet, aber das bereitete mir keine Sorge. Er würde die Läsion vor uns passieren, doch sein kleines, wendiges Schiff würde kaum irgendwelche unerwünschten Veränderungen in der Anomalie auslösen. Mein eigener Vorbeiflug machte mir da schon eher Sorgen; zwar würde ich die Läsion in weitem Bogen umfliegen, doch die Feldeffekte meines Antriebs würden weiter reichen als die der Vespertina . Reichte ein Abstand von ein paar hunderttausend Kilometern aus, um die Läsion vor den Feldstörungen des Impassors und des Antriebs zu isolieren?
    Der Datenspeicher wusste auch keine Antwort auf diese Frage.
    Ich glaube, ich hielt den Atem an, bis die letzten gekräuselten Finger hinter das Schiff zurückgefallen waren. Ich hatte überlebt, doch in der Wolke lauerten noch weitere Läsionen. Ich blieb weiterhin angespannt und war mir bewusst, dass mein Überleben vollständig vom Funktionieren meines Schutzschirms abhing; sollte er versagen, würde die Silberschwingen in einem Lichtblitz vergehen, ohne dass ich etwas davon merken würde. Hin und wieder erinnerte mich ein stärkerer Aufprall daran, dass ich mit Steinen und Felsbrocken kollidierte, nicht nur mit Staubkörnern.
    Die zweite Läsion war größer als die erste, jedoch weiter entfernt, und keine unserer beabsichtigten Flugbahnen kam ihr näher als sechshunderttausend Kilometer. Sie glich der ersten, gabelte sich jedoch etwa in der Mitte des geschwungenen, ausfasernden Gebildes. Die Fingerausläufer waren knotig und hatten abgebrochene Nägel. Je vertrauter mir die Läsionen wurden, desto stärker erinnerten sie mich an Geweihe, die bei einem Titanenkampf von urzeitlichen Tieren abgebrochen waren, die so groß waren wie ein ganzes Sonnensystem.
    Sechs Stunden nach dem Eindringen erreichte ich den Punkt des geringsten Abstands zur staubverhüllten Sonne. Nach einer Weile registrierten die Silberschwingen eine allmähliche Abnahme der Staubdichte.
    Es würde noch eine Weile dauern, bis ich es wagen konnte, Campion anzufunken. Ich hatte mich gerade auf eine längere Wartezeit eingestellt, als er plötzlich wieder auftauchte.
    »Ich empfange etwas«, sagte er unsicher. »Das Signal ist sehr schwach, aber es bewegt sich unabhängig von den Trümmern. Es könnte ein

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