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Das Haus der tausend Blueten

Das Haus der tausend Blueten

Titel: Das Haus der tausend Blueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Lees
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durchtrennte. »Haben Sie schon einen Namen für die Kleine?«
    »Ja«, erwiderte Sum Sum. »Sie soll Mabel heißen.«

Dritter Teil
    1957

1
    Bei Nacht wirkte der Dschungel bedrohlich. Er war dicht und kompakt. Es roch nach faulender Vegetation. Mabel hielt ihren Blick unverwandt auf die wabernde Dunkelheit zwischen den Bäumen gerichtet. Entschlossen. Wachsam. Das rechte Auge am Lauf ausgerichtet, das andere zugekniffen, mit dem Finger leicht den Abzug berührend. Da vorn hatte sich etwas bewegt, dessen war sie sich sicher. Angestrengt starrte sie durch das Gewirr von Lianen, die von den hohen dicht stehenden Bäumen hingen.
    Überall um sie herum hörte sie Geräusche. Irgendjemand hatte einmal behauptet, im Dschungel wäre es bei Nacht vollkommen still. Das war ein großer Irrtum. Die Baumfrösche hörten sich an wie eine kleine Blaskapelle, die Zikaden spielten dazu Schlagzeug.
    Sie gab einen leisen Pfiff von sich und stieß dabei die Luft durch die Schneidezähne. Bong, fünf Meter links von ihr, antwortete mit einem ähnlichen Pfiff. In seiner Brille spiegelte sich kurz das Mondlicht. Ihr Finger berührte erneut den Abzug des Gewehrs. Bewegungen, wie hingekritzelt, schienen über den Waldboden zu huschen. Mabel wartete, spürte, wie ihr der Schweiß über die Stirn rann. Das Salz brannte in ihren Augen. Der Boden unter ihren Ellbogen fühlte sich feucht an. Sie spürte das Gewirr von Knollen und Wurzeln unter ihrem Körper.
    Irgendwo da draußen raschelten Blätter, knarrten Bäume. Die Baumfrösche flöteten jetzt lauter. Kleine Explosionen von Geräuschen, die in der Dunkelheit hundertfach ver stärkt wurden.
    Dann knackte ganz in der Nähe ein Ast.
    Mabel reckte den Hals, und ihr Blick fiel auf eine kleine gebeugte Gestalt – etwas Rundes, Graues vor dem schwarzen Hintergrund. Waren das die Umrisse eines Mannes, der sich auf allen vieren über den Boden bewegte? Sie wollte schon Bongs Namen rufen. Stattdessen stieß sie wieder Luft durch ihre Zähne. Atemführung, sagte sie zu sich. Sie richtete ihr Gewehr aus, zielte über das Visier. Ihre Finger krümmten sich noch etwas stärker um den Abzug. Sie formte mit den Lippen lautlos ein Gebet. Die Muskeln in ihrem Nacken begannen zu zucken. Sie atmete flach und hielt schließlich die Luft an.
    Die Nacht kam näher. Die Zeit fiel in sich zusammen.
    Plötzlich erschien, schnüffelnd und grunzend, ein Bartschwein auf der dunklen Lichtung. Die Schnauze dicht über dem Boden, suchte es nach herumliegenden Früchten, Stücken von Rambutans und Mongosteen, die die Affen hatten fallen lassen.
    Dankbar atmete Mabel aus und nahm das Gewehr herunter. Ihre Nackenmuskeln fühlten sich wie gebrochene Federn an. Obwohl Mabel eine Waffe trug, war sie eigentlich nur die Sanitäterin der Kompanie. Sie hatte ihr Gewehr noch nie abgefeuert. Allein schon der Gedanke, jemanden zu verletzen oder gar zu töten, war ihr unerträglich. Sie rollte sich auf den Rücken, und ihr Blick wanderte zu Bong hinüber. Sie erkannte den Metallrahmen seiner runden Brille. Ein elfenbeinfarbener Schimmer verriet sein Lächeln.
    Sie hatte in einem feuchten dunklen basha , einem behelfsmäßigen Unterstand aus attap, geschlafen. Aus dem Boden wuchsen Giftpilze, und die Exkremente von Gibbons sprenkelten die überhängenden Blätter. Bong hatte sie an der Schulter gerüttelt und geweckt. Sie hatte nicht mehr als eine Stunde geschlafen, aber der Nebel hatte ihre Kleidung bereits feucht werden lassen. Er habe ein Rascheln in den Bäumen gehört, hatte Bong gesagt. Kurz zuvor waren sie von einem der Stammesangehörigen gewarnt worden, dass Sicherheitskräfte in der Nähe seien. Das gesamte Lager war in Alarmbereitschaft versetzt worden. An der Grenzlinie des Lagers hatte man Fußangeln und Springfallen aus Lianen, Draht und biegsamen Weiden aufgestellt.
    Bis zur Morgendämmerung blieben noch drei Stunden.
    Um sie herum war nichts als ungebändigte Natur – springend, kriechend, schlängelnd, flatternd. Aber nichts davon konnte Mabel sehen. Spinnen huschten über ihre Hände, Moskitos summten um ihren Kopf. Jedes Mal, wenn sie kurz einnickte, landeten eine Fliege oder ein Käfer auf ihr und krochen über ihr Gesicht, sodass sie aus dem Schlaf schreckte. Der Dschungel, dieser Ort, in dem alles für irgendjemanden Nahrung war, knabberte schon seit Monaten an ihr. Jetzt drohte er, sie bei lebendigem Leibe aufzufressen. Sie begann von Hammel- Rendang zu träumen, hinuntergespült mit eisgekühlter Limonade,

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