Das Haus der tausend Blueten
Sie sind der Erste Sohn Woo. Wir dürften eigentlich gar nicht miteinander sprechen.«
Lu See fiel auf, dass er große, kräftige Hände hatte. Seine Stimme hatte ein warmes Timbre.
»Als Anthropologe benutzen Sie Ihre Hände wohl ausschließlich dazu, vermoderte Knochen und alte Scherben auszugraben.«
»Das ist eher die Aufgabe eines Archäologen. Ich bin eher Voyeur.«
»Das klingt …«
»Unanständig?«
»Ein wenig. Nun, Adrian Woo, können Sie mir als Anthropologe etwas wirklich Faszinierendes über den Regenwald erzählen?«
»Hmm, nun, lassen Sie mich überlegen.« Er dachte nur eine Sekunde lang nach. »Wie wäre es damit: Der männliche Nasenaffe ist in der Lage, seine Erektion vierundzwanzig Stunden lang aufrechtzuerhalten.«
Lächelnd meinte sie: »Okay, ich gebe zu, das ist einigermaßen interessant.«
»Nur einigermaßen?«
»Nur einigermaßen.«
»Sie sind anscheinend sehr schwer zufriedenzustellen.«
Sie biss sich auf die Unterlippe. »Nicht zwangsläufig.«
»Nun, ich liebe Herausforderungen.«
Sie fand die Art, wie er mit ihr sprach, so direkt und offen, unwiderstehlich. Aber erst in dem Moment, als er ihre Tanzschuhe putzte, war es wirklich um sie geschehen.
»Da, sehen Sie nur«, sagte er. »Ihre Schuhe sind vom Regen ganz schmutzig.«
Er bat sie, sich hinzusetzen, stellte ihren Fuß auf seinen Schoß und polierte ihre Schuhe mit seinem Taschentuch, das er mit Champagner benetzt hatte, um ihnen den richtigen Glanz zu verleihen. Während sie seine Finger beobachtete, die kleine Kreise auf dem Leder beschrieben, spürte sie in ihrer Brust etwas aufflammen, das schon nach kurzer Zeit so heftig loderte wie ein Buschfeuer. Sie wollte sich in ihm verlieren, sich seinem wilden, unbekümmerten freien Geist ergeben.
Später auf der Heimfahrt hatte ihre Mutter sie getadelt. » Cheee-cheee-cheee . Warum hast du so lange mit diesem Woo-Jungen gesprochen, hä? Was hast du dir nur dabei gedacht? Du hast wohl gehofft, dass er sich mit dir davonmacht, nicht wahr? Ein nettes Teoh-Mädchen wie du würde ihm in seinem Liebesnest im Dschungel von Borneo durchaus gefallen, was?«
»Ist es nicht an der Zeit, dass diese dumme Fehde zwischen den Woos und den Teohs endlich aufhört?«
»Bitte«, hatte ihr Vater, C. M. Teoh, gesagt. »Lass uns jetzt nicht darüber sprechen.« Er hatte dabei mit den Augen in Richtung des Chauffeurs geblickt. »Lu See hat nur höfliche Konversation mit ihm betrieben. Schließlich weiß alle Welt, dass sie bereits einen Bräutigam hat.«
Tatsächlich hatten ihre Eltern schon sechs Jahre zuvor mit der Familie Chow eine Vereinbarung getroffen. Sie hatten Lu See, als sie gerade dreizehn Jahre alt gewesen war, einem jungen Mann namens Cheam Chow versprochen, der über Geld und gute Beziehungen verfügte. Dieses Jahr sollte die Hochzeit stattfinden. Als Datum hatten sie einen glücksverheißenden Tag Ende Mai ausgewählt. Von diesem Moment an hatte Lu Sees Mutter jedes Wochenende erklärt, dass sie nun endlich mit den Hochzeitsvorbereitungen beginnen sollten. Es gäbe schließlich noch so viel zu tun. Sogar das Kleid hatte schon Monate vorher geschneidert werden müssen. Also hatte Lu See eines Tages nach dem Essen auf dem Couchtisch gestanden, die Arme zur Seite ausgestreckt, während der Schneider Maß nahm und den Seidenstoff für das eng anliegende Kleid absteckte.
»Sie werden doch nicht zunehmen, oder?«, fragte er warnend. »Wie stehe ich denn da, wenn Sie bei Ihrer Hochzeit aus dem Kleid platzen? Dann heißt es, Schneider Pang hatte ein Kleid für einen terengganu -Elefanten gemacht.«
»Ich mache das nicht länger mit, Mutter«, zischte Lu See, als der Schneider aus dem Zimmer gegangen war, um noch mehr Stecknadeln zu holen. »Mich zu dieser Hochzeit zu zwingen ist barbarisch und überholt!«
»Mir ist egal, was du denkst.«
»Du weißt verdammt gut, dass ich Cheam Chow nicht heiraten will.«
»Du tust, was dein Vater sagt!«
»Ah-Ba spricht einfach nicht mit mir. Ich kann nie vernünftig mit ihm reden.«
»Was, du willst deiner Familie also keinen Wohlstand bringen, ja? Der Tag, an dem du dich mit der Familie Chow verbindest, wird für uns alle ein stolzer Tag sein!«
»Ich habe hier keine Zukunft. Ich werde mein Leben selbst in die Hand nehmen.«
»Cha!«
»Ich brauche geistige Freiheit. Ich will eine moderne Frau sein und werde mich deshalb als Studentin in Cambridge einschreiben.«
»An der Universität von Cambridge? Sei nicht albern!«
»Ich meine das
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