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Das Haus der tausend Blueten

Das Haus der tausend Blueten

Titel: Das Haus der tausend Blueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Lees
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jetzt tatsächlich schon sieben Jahre?«
    »Beinahe, lah ! März 1929. Das war die Jahr, in das mein Vater gestorben.«
    Sum Sum erinnerte sich noch gut an den Tag, an dem sie sich zum ersten Mal begegnet waren, sie waren damals beide gerade einmal zwölf Jahre alt gewesen.
    »Deine Mutter hat mir in Frühstückszimmer geführt und gesagt, dass ich neues Wäschermädchen bin. Erinnerst du dir noch?«
    »Du hast dich nicht getraut, irgendjemanden anzusehen, und die ganze Zeit weggeguckt.«
    »Ja, zur Tür. Damit keiner meine Tränen sehen.« Sie nickte. »Ich hatte so Heimweh. Ich kam mich in eure Haus wie eine Betrügerin vor. Ich war gerade mit Zug ankommen, lah . Ich kann mir noch gut an lange Reise in diese Sarg aus Eisen erinnern. Durch Assam, Mandalay und Siam. Tickety-tak , tickety-tak , ganze Nacht. Und an dir erinnere ich mir auch noch gut, ein dünner kleiner Frechdachs mit kurze Haare.«
    »Das entsprach den Vorschriften der Schule. Die Haare durften den Kragen der Uniform nicht berühren.«
    »Deine Mutter sagte: Sitz gerade, Lu See! Deine Eltern h aben ständig an dich herumgenörgelt, weißt du noch? Es war immer das Gleiche: Hör auf, mit Nägel kauen, nimm Ellbogen von Esstisch, vergiss nicht, dir nach dem Pipi die Hände waschen.«
    »Was ich niemals getan habe!«
    »Und dann du hast meine Hand genommen.«
    »Und ich habe dich im ganzen Haus herumgeführt.«
    » Aiyoo! Die vielen dunklen Flure. Damals gab bei euch noch Gaslicht.«
    Lachend fielen sie sich immer wieder ins Wort.
    »Und dann haben wir uns in den hinteren Teil des Hauses gesetzt, an den Tisch der Diener, um uns eine Schale mee-hoon -Nudeln zu teilen.«
    »Und du hast mich gesagt, dass ich bei Kauen die Mund zumachen soll!«
    »Habe ich das wirklich gesagt?«
    »Ja, das hast du, lah .«
    »Wir haben zusammen eine Runde chinesisches Schach gespielt. Dann bin ich hinausgegangen und habe kleine Steine auf das Dach geworfen, um die Affen zu verscheuchen. Du aber wolltest immer nur deinen Brief lesen.«
    »Du weißt, dass ich diese Brief von meine Mutter lange Wochen in der Tasche von mein Kittel mit mich herumtragen habe.«
    Es folgte eine lange Pause. Sum Sum erinnerte sich an jedes einzelne Wort, das in diesem Brief gestanden hatte. Ihre Mutter hatte geschrieben, dass sie nun, da sie keinen Vater mehr hatte, höflich und ordentlich sein, ein anständiges Leben führen, das Andenken ihrer Vorfahren ehren und sich nicht vor dem Donner fürchten solle. Sie erinnerte sich auch daran, wie die Sonne durch die Wolken über dem Himalaja gebrochen war. An die Hirschfelle, die ihnen als Schlafunterlage gedient hatten. An ihre Mutter, die ihre roten steifen Finger über einem kleinen Feuer gewärmt hatte, während Sum Sum noch mehr Brennmaterial und Baumharz in die Flammen warf. Die Karawane aus Pferden und Yaks hatte sie bis zur Grenze nach Indien gebracht. Der Weg über die Berge hatte volle sechzehn Tage gedauert. Erst dort hatten sie einander Lebewohl gesagt. Sum Sum hatte gespürt, wie ihr jemand das Amulett in Form eines Gebetskästchens um den Hals gelegt und die Schultertaschen noch einmal zurechtgerückt hatte. Sie hatte so sehr geweint, dass sie ihre Mutter durch die Tränen, die ihren Blick verschleierten, nur noch verschwommen wahrgenommen hatte. Sie hatten sich gegenseitig ihre Handflächen an die Wangen gedrückt. Dann hatte ihre Mutter sie in die Arme genommen. Auch ihr Gesicht war tränenüberströmt gewesen. Sum Sum hatte noch etwas sagen wollen, jedoch kein Wort herausgebracht. Es war, als hätte ihr jemand Steine in den Mund gelegt. Als sie sich wieder voneinander gelöst hatten, war der Blick ihrer Mutter zu den fernen Hügeln im Süden gewandert. Sie hatte genickt. Es war Zeit gewesen zu gehen.
    Damals war Sum Sum nicht einmal in den Sinn gekommen, dass sich Malaysia von Tibet unterscheiden könnte. Ihr war nicht bewusst gewesen, dass ihr dort ein ganz anderes Leben begegnen würde, dass sie die Speisen, die man dort aß, nicht kannte, dass sie sich mit seltsamen Sitten und Gebräuchen vertraut machen und fremde Sprachen lernen musste. Niemand hatte sie in irgendeiner Weise darauf vorbereitet. Doch sie hatte nichts anderes gewollt, als dass ihre Mutter stolz auf sie sein konnte.
    Sum Sum schüttelte angesichts dieser Erinnerungen heftig den Kopf. Sie grub ihre Zähne in ihre Unterlippe. Einen Moment später machte sie sich jedoch schon daran, die Kof fer auszupacken und die Sachen zu verstauen. Sie hängte Cocktailkleider und

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