Das Haus der tausend Blueten
seinen Filzhut auf den Kopf und stürmte zur Tür hinaus.
»Was ist denn los mit ihm?«, fragte Lu Sees Mutter. »Hat er seinen Friseurtermin vergessen?« In diesem Moment sah sie, wie Lu See einen roten Zehndollarschein aus der Kasse nahm und in einen Umschlag steckte. Sie holte hörbar Luft. »Was machst du da?«
»Wonach sieht es denn aus?«
»Klaust du etwa?« Sie betonte das erste Wort.
»Das geht dich nichts an, Mutter.«
»Spielst du? Ist es das?«
»Nein, ich spiele nicht.«
»Du trinkst! Du nimmst das Geld aus der Kasse und kaufst dir heimlich Alkohol!«
»Hör zu, das hier ist mein Restaurant. Ich kann mit den Einnahmen machen, was ich will.«
Ihre Mutter starrte sie mehr neugierig als verblüfft an. »Dein Onkel und ich sind stille Teilhaber. Uns gehören zehn Prozent. Vielleicht hast du das vergessen.«
Lu See spürte, wie ihre Wangen zu glühen begannen. Sie versuchte ihre Verlegenheit zu überspielen, indem sie Dungeonboy auf den Sprung in einer Teetasse aufmerksam machte.
Schon wieder klingelte das Telefon. Diesmal war Lu See schneller als Fishlips Foo. Sie nahm das Gespräch entgegen. Doch schon nach kurzer Zeit legte sie wieder auf.
»Das war James. Er sagt, dass gerade mehrere Tausend Menschen hier in der Nähe demonstrieren. Er rät uns dringend, das Restaurant zu schließen.«
»Schließen?«, fragte Onkel Hängebacke. »Warum?«
Lu See war sich nicht sicher. »Er hat nur gesagt, dass sie maoistische Parolen rufen und die Malaien mit Gesten, als wollten sie ihnen die Kehle durchschneiden, provozieren.«
Alle, einschließlich Fishlips Foo, kratzten sich nachdenklich am Kopf. Lu See jedoch drückte Dungeonboy ungerührt einen sauberen Teller in die ausgestreckten Hände, dann einen weiteren. Sobald er sie ins Regal geräumt hatte, ließ er das Gitter vor der Tür herunter und spülte dann weiter das Geschirr ab.
Eine Minute später hörten sie etwas. Dungeonboy, der bis zu den Ellbogen in Seifenwasser am Spülbecken stand, forderte die anderen auf, still zu sein. Er reckte den Hals und wischte sich mit einem Geschirrtuch den Seifenschaum von den Armen.
Das Geräusch näherte sich. Es war eine Art unterirdisches Pulsieren, das sich durch den Boden fortpflanzte, so wie das Trommeln schweren Regens in der Ferne.
Lu See, ihre Mutter, Onkel Hängebacke, Dungeonboy und Fishlips Foo gingen zu den Fenstern des Restaurants mit ihren kräftig orangeroten Fensterläden und spähten gebannt hinaus.
Nach und nach kam ein Heer von Menschen in Sicht. Es sah aus, als würden Ameisen von einem glühenden Ameisenhügel strömen. Laute Stimmen peitschten durch die Luft, wurden von den Glasfronten der anderen Ladenlokale der Straße zurückgeworfen. Die Menschen skandierten: »Malai Sai! Tötet die Malaien! Malai Sai! Tötet die Malaien!«
Tausende chinesische Demonstranten waren auf den Straßen. Sie blockierten die Fünf-Fuß-Wege, ergossen sich wie Wasser aus einem gebrochenen Damm.
»Der Osten ist rot! Die Kommunistische Partei ist die Sonne! Wo sie scheint, wird sich unsere Lehre verbreiten!«
Es klang wie das Tosen von tausend Stromschnellen.
Lu See schlug entsetzt die Hand vor den Mund. Die Szenerie weckte Erinnerungen in ihr. So etwas hatte sie schon einmal gesehen: 1936 in London. Der Mob war außer Kontrolle, gierte nach Blut.
»Malai Sai! Malai Sai!«
Lu Sees Mutter griff sich mit der Hand an die Kehle. »Du hörst, was sie schreien? Sie wollen die Malaien töten! Sollen wir die Polizei rufen?«
»Ich kann einfach nicht glauben, dass so etwas hier geschieht!«, keuchte Lu See.
Große Plakate, auf denen der Vorsitzende Mao zu sehen war, schwebten über den Köpfen der Menschen. Er blickte vom Himmel hernieder wie der Kopf eines Gottes.
»Der Vorsitzende Mao ist die rote Sonne in unseren Seelen!«
Sie marschierten dicht gedrängt, Seite an Seite, oftmals nur in Sandalen und mit Shorts und Unterhemd bekleidet. Viele von ihnen schwenkten ein kleines rotes Buch. Außerdem hielten sie alle entweder einen Stock, ein parang -Schwert, einen Knüppel oder eine Fackel in den Händen. Sie brüllten den Malaien zu, sie sollten zurück in den Dschungel kriechen. Dann rissen sie das Ladenschild des Kesselflickers herunter und trampelten darauf herum, als wäre es eine Mangrovenschlange.
»Wo wollen sie hin?«, fragte Lu See und krallte die Hände in den Stoff ihrer kebaya .
»Warum müssen sie ausgerechnet hier entlangmarschieren? Wissen sie denn nicht, dass das ein muslimisches Viertel
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