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Das Haus der Tibeterin

Titel: Das Haus der Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica Cesco
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ganze unbedeutende Rest, Geist, Denken, Empfinden, war gelähmt, nur das Herz pumpte und hüpfte unter den Rippen. Irgendwann schlug ich die Augen auf und sah in einem jähen Schwindelgefühl, dass Buddha mir nahe war, so nahe, dass ich ihn hätte berühren können. Hier wurde das Hochziehen langsamer, immer vorsichtiger, zögernd. Doch es gab kein Innehalten. Unendlich langsam glitt Buddhas sonnenvergoldetes Profil an mir vorbei, und dann war es auf einmal, als schwebte ich hoch über ihm, gleich einem trunkenen Vogel in verglimmender Dämmerung. Danach kam eine feierliche Schwärze, vom Himmel herabfallend wie ein warmes Tuch. Und danach kam lange Zeit gar nichts mehr.

SIEBENUNDDREISSIGSTES KAPITEL
    D as Erste, was zurückkam, war das Klingeln kleiner Glöckchen. Seltsame goldene Lichter umfingen mich. Auch Gestalten waren da, freundliche Gestalten, mit sanften Stimmen und geschickten Händen. Sie wuschen mich, pflegten meine Wunden, deckten mich zu, flößten mir Brei und warme Getränke ein. Ich lag weich, in wohltuender Wärme. Es duftete nach Weihrauch und Apfelrinde. Dann und wann berührten Hände meine Hüften, bestrichen sie mit einer Salbe, die nach Wurzeln und Kräutern roch. Wenn sie den Verband anzogen, schmerzten die Bruchstellen ganz entsetzlich. Ich hörte mich stöhnen und hörte gleichzeitig die beruhigenden Worte, die gemurmelt wurden. Es gab ein bitteres Zeug zu trinken, sodass ich mich entspannte und einschlief. Bis in meine Träume hinein begleitete mich ein leichtes, unentwegtes Summen, als ob Insekten ihre Flügel rieben. Dazu kam das Murmeln vieler Stimmen, die leise Gebete sangen. Allmählich wurden diese Schlafperioden kürzer. Auch Gesichter waren da, die sich in mein Blickfeld schoben, alte, gütige Gesichter. An den Gesängen, die sich abwechselten, an dem Klingeln der Glöckchen, an dem Ablauf von Sonnenschein und Dunkelheit merkte ich, dass wieder ein Tag vorbei war. Doch eigentlich wurde es nie richtig finster, die goldenen Lichter waren immer da und flackerten freundlich, ein seltsames, schwächer und stärker werdendes Hin und Her. Die meiste Zeit schlief ich, bisweilen war ich mir der Schmerzen in meiner Hüfte unmittelbar bewusst, vornehmlich, wenn die guten Hände zu irgendeinem notwendigen
Dienst nach mir griffen. Ich lag auf dem Rücken, die Arme über der Brust fest verschränkt - wollte ich doch vermeiden, dass die Seele mich wieder verließ. Weil meine Arme beim Aufwachen stets eiskalt und gefühllos waren, sagte meine Seele zu mir, ich sollte endlich beruhigt sein, es würde nie wieder vorkommen. Man legte dann die Arme längs meines Körpers, und ich ließ sie dort ruhen. Das Blut begann wieder zu kreisen, ich fühlte, wie meine Arme und Hände warm und gelenkig wurden. Eines Morgens wachte ich auf, frisch und ausgeruht, stützte mich auf meinen unversehrten Ellbogen und spähte umher. Die Flämmchen beleuchteten eine buntbemalte Trommel, das honigfarbene Trommelfell schimmerte matt. Weihrauch zog in Schwaden hoch; ich atmete tief den beglückenden Duft ein, der mich an meine Kindheit erinnerte, an die Riten zu Ehren Palden Lhamos, der Schutzgöttin der Familie. Tatsächlich lag ich auch hier in einem kleinen Gebetsraum, hinter Getreidesäcken mit ihrem starken Aroma nach Korn. Das Summen, das ich Tag und Nacht hörte, wurde von einer Anzahl Gebetsmühlen erzeugt, größeren und kleineren, die beständig in Gang gehalten wurden. In Glas- und Zinngefäßen brannten Butterlampen. Das sanfte, lebendige Licht beleuchtete einen Altar aus verwittertem Holz. Auch Buddha war wieder da, doch viel kleiner und aus Kupfer. Darunter befand sich ein Bild, mit Papierblumen eingerahmt. Das Bild war in schönen, klaren Farben koloriert und zeigte einen jungen Menschen, der hinter einer Brille lächelte. Bei seinem Anblick wurden meine Wangen heiß. Ich wusste, wer dieser junge Mensch war, und entsann mich voller Scham, wie ich ihn verleumdet, beleidigt und bespuckt hatte. Meine Augen füllten sich mit Tränen; ich schluchzte leise vor mich hin. Man musste mein Weinen gehört haben, denn, vom Schlurfen seiner Schritte angekündigt, trat aus der Grenze zwischen Licht und Schatten ein Mann, mit der safrangelben Robe der Mönche bekleidet. Er brachte saubere Tücher und trug eine Schüssel
in der Hand. Neben mein Lager stellte er einen Krug mit heißem Wasser. Der Mönch war hochgewachsen und mager. Das Gesicht war erstaunlich faltenlos, sein wahres Alter war nur an den steifen Schritten,

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