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Das Haus der Tibeterin

Titel: Das Haus der Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica Cesco
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Schatzkästchen deines Herzens. Du bist dann nie allein. Es ist immer jemand da.«
    »Ja, ich verstehe«, erwiderte ich leise.
    Ich verstand ihn tatsächlich.
    Er machte ein bejahendes Zeichen, bevor er weitersprach.
    »Ich bringe Buddha in diese Nische, weil ich weiß, dass er
gern an seinem alten Platz steht. Ich mache ihm diese Freude. Auch ich muss noch viel Geduld aufbringen, aber in letzter Zeit sehe ich ihn deutlicher. Ich weiß, dass er bald kommen wird.«
    War er am Ende doch ein wenig verrückt? Aber ich konnte in seinen Augen nicht das geringste Zeichen von Irrsinn erkennen. Und da war noch mehr, etwas, das ich nicht verstand. Etwas, das ich noch nie in den Augen von irgendjemand gesehen hatte - noch nie. Ich fragte: »Glauben Sie, Sie stehen mit dieser Überzeugung allein?«
    Er schüttelte lebhaft den Kopf.
    »Oh nein, keineswegs! Viele leben hier, die warten, dass Buddha zurückkehrt. Wir sind uns sehr wohl darüber im Klaren, was wir zu erhalten versuchen und warum wir dieses Leben führen. Wir versuchen, am richtigen Platz auszuharren, weil die Dinge schon so nahe sind. Aber wir sind bereits alte Lehrer. Erst wenn wir unsere Aufgabe anderen übertragen haben, finden wir Ruhe. Kommt Buddha, sollst du ihn erkennen und nicht an ein falsches Morgenrot glauben.«
    Ich begriff die Anspielung sofort.
    »Nein, das werde ich ganz bestimmt nicht!«
    Er schmunzelte.
    »Wer bist du, meine Tochter? Und wo kommst du her?«
    Ich nannte meinen Namen, wobei ich den Eindruck hatte, dass er leicht stutzte. Es war, als ob der Name ein Echo in ihm weckte, das lange geschwiegen hatte, als sei eine längst verschüttete Erinnerung in sein Bewusstsein getreten. Doch er sagte nichts, und ich erzählte weiter.
    »Ich komme aus der Schweiz, ich bin dort geboren worden. Wir sind nur für ein paar Tage hier. Heute waren wir im Jokhang, morgen besichtigen wir den Potala.«
    Seine Mundwinkel zuckten, doch es war kein Lächeln in seinem Gesicht.

    »Sie halten den Käfig offen, doch der weiße Kranich hat die Welt als Unterschlupf.«
    Ich starrte ihn an.
    »Wie bitte?«
    Er gab eine Erklärung, die so vieles ungesagt ließ, dass ich mir kaum klüger vorkam als zuvor.
    »Einst war ich Geshe, doch heutzutage sieht man es lieber, wenn jüngere Lehrer die Novizen unterweisen. Nun, viel Schaden richten sie dabei nicht an.«
    Er wechselte plötzlich das Thema.
    »Sag, hast du noch Verwandte in Lhasa?«
    »Eine Tante, ja. Meine Eltern pflegten wenig Kontakt zu ihr. Ich weiß nicht einmal, ob sie noch am Leben ist.«
    Ich zeigte ihm den Zettel, auf dem Lhamos Adresse stand. Der Mönch zog umständlich ein Etui aus der Tasche und schob sich eine altertümliche Brille über die spitzen Ohren, bevor er aufmerksam den Zettel las.
    »Das ist nicht hier«, sagte er schließlich. »Das ist im Neuen Viertel.« Er deutete mit unbestimmter Bewegung die Richtung an.
    »Du kannst mit dem Bus fahren. Oder eine Rikscha nehmen.«
    Ich dankte ihm für die Auskunft und stellte die Frage, die mir seit einigen Augenblicken auf den Nägeln brannte.
    »Früher hatte meine Familie ein Haus in der Nähe des Barkhor: ›Das Haus der Weiden‹, so jedenfalls nennt es meine Amla, die ihre Kinderjahre dort verbrachte. Ich möchte so gern wissen, ob das Haus noch steht.«
    Er nahm seine Brille wieder ab, faltete sie sorgfältig in das Etui zurück und warf seine Tasche über die nackte Schulter.
    »Ach ja«, murmelte er, »das Haus der Weiden!«
    Mein Herz tat einen Sprung, dann klopfte es so stark, dass es mich fast erstickte.

    »Kennen Sie es?«, rief ich lebhaft.
    Er streckte behutsam die Hand aus, berührte segnend meine Stirn.
    »Ich kenne den Ort«, sagte er dumpf, bevor er sich umwandte und sich mit langsamen Schritten entfernte.

VIERUNDVIERZIGSTES KAPITEL
    I ch kehrte ins Hotel zurück. Die Begegnung mit dem Mönch hatte meine Gedanken in völlig andere Bahnen gelenkt, und für einen Besuch bei Lhamo war es ohnehin zu spät.
    Mein Zimmer war dunkel, still und gewissenhaft aufgeräumt. Ich streifte die Baskets von den Füßen, ging ins Bad und wusch mir kalt das Gesicht, den Nacken und die Arme. Dabei hatte ich das Gefühl einer totalen Isolation. Lhasa war sogar dann ein imaginärer Ort, wenn er meinen Vorstellungen entsprach, was gelegentlich zutraf. Ich merkte, dass schon eingetreten war, was ich befürchtet hatte, die Ernüchterung nämlich. Die Tragödie dieser Stadt war gleichsam meine eigene Tragödie. Aber mein Unglück war nichts anderes als ein

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