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Das Haus der Tibeterin

Titel: Das Haus der Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica Cesco
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spröde, weil ihr offenbar nichts anderes einfiel.
    »Ja, danke«, erwiderte ich unverbindlich, »ich werde pünktlich sein.«

    Frau Chang nickte recht kummervoll.
    »Ich werde mich nach Ihnen erkundigen«, sagte sie abschließend, was bedeuten konnte, dass sie entweder an meine Zimmertür klopfen oder an der Rezeption nachfragen würde, ob ich brav wieder im Stall war, bevor sie die Staatssicherheit in ganz Lhasa mobil machte. Ich ging das Risiko ein.

DREIUNDVIERZIGSTES KAPITEL
    A ls ich die Gruppe verließ, fühlte ich mich sofort besser. Mit gezwungener Folgsamkeit hatte ich versucht, meinen aufgewühlten Verstand unter Kontrolle zu halten, damit ich nicht mit Wutschreien herumrannte wie andere mit einem Gewehr. Jetzt, wo ich allein war, erkannte ich manchmal Orte, an denen ich, schien mir, schon einmal gewesen war; aber alles blieb voneinander getrennt, ohne Zusammenhang, wie das in Träumen manchmal vorkommt. Ich hatte es geschafft, einigermaßen betäubt mit der Gruppe zu gehen. Jetzt aber spürte ich eine nahezu körperliche Übelkeit, einen widerwärtig bitteren Geschmack im Mund. Die Hühnersuppe war nicht gut gewesen, womöglich hatte ich mir eine Magenverstimmung geholt, und das schon am ersten Tag! Ich ging über den wimmelnden Marktplatz, vorbei an Betrunkenen, die eine chinesische Schnulze plärrten. Ein zerlumpter Mann saß auf dem Boden, neben ihm kauerten Kumpane im gleichen Zustand. Halbwüchsige zeigten auf sie und lachten. Ich ging rasch weiter. Eine Maschine aus Nepal flog Lhasa an, beladen mit neuen Touristen, suchte den Flughafen, setzte zur Landung an. Das Dröhnen erfüllte den Himmel, fegte dunkel und schrill über die Häuser hinweg.
    Ich folgte dem silbrigen Vogel mit den Augen, und als ich mich umwandte, erblickte ich einen Mönch. Er war ein alter Mann, und die Art, wie er sich gebärdete, kam mir sonderbar vor. Er stand vor einer Nische in der Mauer, in der einst eine Statue gestanden haben musste. Jetzt war nichts zu sehen, nur
alte, geschwärzte Steine. Doch der Mönch verneigte sich tief, die Hände gefaltet. Dann zog er ein Lämpchen aus Messing aus der Umhängetasche, die er an einer Kordel über der Schulter trug. Er goss etwas flüssige Butter in das kleine Gefäß, zündete den winzigen Docht mit einem Feuerzeug an und stellte die Lampe behutsam in die Nische. Dann kauerte er sich nieder, berührte mehrmals mit der Stirn den Boden, bevor er den Oberkörper wieder aufrichtete und vor sich hin murmelnd die Gebetsschnur durch die Finger gleiten ließ. Ich starrte ihn fasziniert an. Seine Handlung erschien mir so widersinnig! Er betete vor einer Mauer! Ich konnte die Augen nicht von ihm lassen. Doch der alte Mann schien niemanden wahrzunehmen; er blickte unbeirrt nach vorn, auf das im Wind tanzende Flämmchen der einsamen Butterlampe. Hier wurde keine Reisegruppe hingeführt, und kaum einmal ein Fußgänger kam hier vorbei. Da war nur dieser alte Mann in seiner schmuddeligen Robe, das Gesicht eingeschrumpft, der mit sanfter, kaum hörbarer Stimme Gebete sang. Es war, als betete er über eine Grenze hinweg, die Grenze zu Gott, die weiteste aller Grenzen. Die Gebetsschnur in seiner Hand rasselte dabei leise, es schien mir das einzige Geräusch weit und breit zu sein. Wie viel Zeit so verging, wusste ich nicht. Der Mönch betete. Es war, als ob er den Steinen beweisen wollte, dass sie beseelt waren und dass er genau wusste, wie viel er leisten musste, um die Mauer davon zu überzeugen. Er sprach mit der Mauer in der beißenden Kühle des Nachmittags, und ich stand da und sah zu. Dieser Mann trug mehr als ein halbes Jahrhundert zerstörter Illusionen und unerfüllter Hoffnungen mit sich. Seine Wirbelsäule war leicht gekrümmt, die Arme lang und mager, die Hände empfindsam. Dieser Mönch gehörte einem anderen Zeitalter oder überhaupt keinem Zeitalter an.
    Endlich ließ der Mann seine betenden Hände auf die Knie sinken. Mit der Stirn erneut den Boden berührend, legte er seine ganze Frömmigkeit in die Bewegung. Dann richtete er
sich langsam auf, wandte mir leicht das feingeformte Gesicht zu. Er hatte natürlich gemerkt, dass ich dastand und recht unhöflich zusah, während er betete. Weil ich nicht wollte, dass er schlecht von mir dachte, verneigte ich mich leicht, legte die Hände in Brusthöhe zusammen. Ich bat ihn dabei nicht um seinen Segen - ich wusste nicht, ob man das hier noch tat -, sondern stammelte lediglich eine Entschuldigung.
    Er nickte und sagte mit seiner sanften,

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