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Das Haus der Tibeterin

Titel: Das Haus der Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica Cesco
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Aufzug, ohne dass einer von uns ein Wort sprach. Ich spürte eine sonderbare, heiße innere Erregung. Es war nicht das erste Mal, dass ich einen Mann in meine Wohnung mitnahm. Aber diesmal war alles anders.
    Ich zog meinen Schlüssel aus der Tasche, stieß die Tür auf, machte Licht. Die Wohnung war aufgeräumt, wie immer. Wir zogen unsere Schuhe aus; ich schlüpfte aus meinem Daunenmantel, reichte Kanam einen Kleiderbügel und zog die Vorhänge zu. Die Wohnung lag im vierten Stock, aber das Haus gegenüber war ziemlich nahe. Kanam kam langsam hinter mir ins Wohnzimmer. Vor dem kleinen Hausaltar blieb er stehen, legte die Hände zusammen und deutete eine Huldigung an, bevor er sich lächelnd mir zuwandte.

    »Hübsch ist es hier. So friedlich!«
    »Meine Mutter sagt immer, dass ich einen Ordnungsfimmel habe. Alles schön symmetrisch, jeder Gegenstand an seinem Platz und keine zehn Zentimeter daneben. Das kommt von meinem Beruf. Was allerdings die Möbel betrifft, da habe ich nicht viel Geschmack. Ich muss das noch üben. Setz dich! Was möchtest du trinken?«
    »Ein Bier wäre nicht schlecht.«
    Er setzte sich auf die niedrige Couch und rieb sich die steifen Hände. Ich ging in die Küche, hörte mich dabei hastig atmen. Bier hatte ich immer im Kühlschrank, obwohl ich selten trank. Ich brachte das Bier, dazu Pistazien.
    »Rauchst du?«
    Er antwortete belustigt.
    »Als ich dreizehn war, ja. Und seitdem nicht mehr.«
    »Ach ja, ich auch.«
    »Und seitdem nicht mehr.«
    »Woran merkst du das?«
    »Du riechst nicht nach Zigarettenrauch. Und in der Wohnung steht kein Aschenbecher.«
    »Dir entgeht aber auch nichts. Der berühmte Nomadenblick.«
    »Cool. Aber erst seit zwei Stunden.« Er lachte. »Tja, es stimmt schon, dass ich gut beobachte.«
    Wir stießen an und tranken. Nach dem ersten Schluck fragte er: »Lebst du allein?« Und fügte gleich hinzu: »Entschuldige die vorlaute Frage.«
    »Die Frage ist pragmatisch, nicht vorlaut«, versetzte ich. »Im Großen und Ganzen … ja … lebe ich allein. Es gibt eben Männer, die mehr oder weniger gut zu mir passen. Und du, lebst du allein?«
    Er kniff verschmitzt die Augenlider zusammen.
    »Es gibt eben Frauen, die mehr oder weniger gut zu mir passen.«

    »Du hattest doch sicher zehn an jedem Finger.«
    Er gab es zu.
    »Diese und jene, wie es so kommt. Aber selten etwas wirklich Festes. Und du?«
    »Ich hatte einen, der nett war«, sagte ich, »aber meine Mutter hat ihn rausgeschmissen.«
    Er hob die Brauen.
    »Oh, tut sie so was?«
    »Eigentlich nie, darum war ich ja auch so schockiert. Aber jetzt verstehe ich sie besser. Übrigens hat die Geschichte auch mit dir zu tun.«
    Sein Lächeln verschwand.
    »Wieso mit mir?«
    »Ich sagte dir ja, mir werden noch Einzelheiten einfallen.«
    »Erzähl mir davon.«
    Ich trank mein Bier aus und ging in die Küche.
    »Ich kenne die Geschichte nicht ganz. Meine Mutter spricht nicht darüber.«
    Er war mir in die Küche gefolgt.
    »Warum nicht?«
    »Sie hat mit deinem Großvater zu tun.«
    »Mit Alo?«
    »Ja, mit Alo.«
    Ich begann den Salat zu waschen. Kanam stand neben mir, an die Spüle gelehnt.
    »Was ist geschehen?«
    Ich erzählte ein wenig. Dass sie aus dem Lager geflohen war und Alo sie nach Indien gebracht hatte.
    »Mir ist inzwischen klar, dass sie einander liebten.«
    »Will sie deswegen nicht darüber reden?«
    »Ich denke, es ist noch etwas anderes hinzugekommen. Etwas, das ihr großen Kummer macht.«
    »Und du hast nie herausgekriegt, was es ist?«

    »Sie macht diesen Kummer fortwährend durch. Auch heute noch. Aber sie sagt nie etwas Genaues.«
    »Ich möchte sie gern kennenlernen«, sagte er.
    »Das ist leicht zu machen.«
    »Glaubst du, dass sie mir die Geschichte erzählen würde?«
    »Das wäre wirklich ein Wunder!«
    Er trat dicht hinter mich, hob mein Haar und flocht es behutsam, sodass der lockere Zopf im Nacken baumelte. Meine Kehle wurde trocken; ich spürte sie sofort, diese plötzlich einsetzende Flamme im Innern, süß und warm und pulsierend. Unwillkürlich lehnte ich mich an ihn, bevor ich mich versteifte und er wieder zurücktrat.
    »Kann ich etwas tun?«, fragte er. »Den Tisch decken? Oder Salat mischen? Hast du Olivenöl?«
    »Kochst du gern?«
    »Oh ja, und wie! Ich stand schon im Vorschulalter in der Küche, wenn meine Mutter Rezepte ausprobierte. Sie lachte und sagte immer: ›An dir ist ein Mädchen verloren gegangen! ‹«
    »Woran ist sie gestorben?«
    »Krebs. Sie hatte zwei Operationen. Man

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