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Das Haus der Tibeterin

Titel: Das Haus der Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica Cesco
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hatten aus ihrer tiefen Ungläubigkeit gegenüber dem Wert des Lebens ihre Opfer großer Pein ausgeliefert und sie vernichtet. Aber die Seelen der Ermordeten schwebten auf dem Regenbogen, unversehrt in Buddhas mildtätiges Licht gehüllt. Sie, die in
Schmerz und Trauer sterben mussten, kamen zurück wie mit Flügelschlägen und waren uns nah und gut. Sie waren des Leidens müde. Wir, ihre Nachkommen, sollten es besser haben.
    Ich schlüpfte in meinen Daunenmantel und sagte zu Kanam: »Schön. Du kannst meinen Computer benutzen. Ich werde ein paar Sandwiches mitbringen. Dann holen wir deinen Wagen und fahren gleich los.«
    Tatsächlich waren am Nachmittag die Autobahnen frei. Die Kälte hatte den Asphalt schnell getrocknet. Kanam fuhr ganz anders als ich, sehr gleichmäßig. Seine Hände mit den empfindsamen Fingerkuppen lagen ruhig und entspannt auf dem Lenkrad. Manchmal drehte er mir leicht das Profil zu. Wir tauschten ein Lächeln, und ich fühlte, wie ich innerlich schmolz. Der Verkehr war dicht, weil sonniges Wetter angesagt war und alle in die Berge wollten. Aber wir kamen gut vorwärts, sodass wir Luzern in weniger als einer Stunde erreichten. Das Haus stand hinter Mauern auf einer Anhöhe unweit der Haldenstraße. Man hatte rundherum große Mietshäuser gebaut, aber dicht wachsende Bäume verdeckten einige unschöne Balkone. Durch das weißglitzernde Netz der Baumranken schimmerte der See wie blaue Seide. Kanam hielt vor einem Tor aus Schmiedeeisen an und tippte einen Code ein. Die Flügel sprangen auf. Er fuhr den Wagen in einen kiesbedeckten Hof, in dem einige Ziersträucher in Blumentöpfen standen. Der Schnee war unter die Büsche geschaufelt worden. Ein kupfernes Schild an der Haustür trug den Namen der Treuhandgesellschaft, bei der ich angerufen hatte.
    »Die Zimmer im Parterre wurden in Büros umgewandelt«, erklärte mir Kanam. »Mein Vater hatte das Haus von seinen Eltern geerbt und fand es zu groß. Wir bewohnen nur die erste Etage. Im zweiten Stock wohnt der Hauswart mit seiner Familie. Er wohnt gratis; dafür hält er den Garten instand und seine Frau putzt am Wochenende die Büros. Auf diese Weise ist immer jemand im Haus.«

    Er gab einen zweiten Code ein, und die Tür sprang mit leichtem Surren auf. In der Eingangshalle waren die weißen Wände nur mit einigen alten Stichen geschmückt, die Luzerner Ansichten zeigten. Die hohen Treppen aus dunkel glänzendem Holz wiesen eine leichte Spiralform auf. Oben war wieder ein Flur, an dessen Ende sich eine Tür befand, die Kanam aufschloss.
    »Hier«, sagte er.
    Der alte Parkettboden quietschte unter abgenutzten Teppichen, als wir durch den breiten Eingangsbereich die Wohnung betraten. Als Architektin war ich auf der Stelle fasziniert: Sezessionsstil, mit früheren Elementen vermischt. Die Wohnung war eine merkwürdige Raumanlage, jedes Zimmer lag etwas höher als das andere und war durch ein paar Stufen mit ihm verbunden. Die hohen Wände, stellenweise karminrot oder olivgrün bemalt, zeigten eine leichte Wölbung und wellenförmigen Stuck am oberen Abschluss. Die Fenster waren groß, mit schönen Gitterstrukturen und rankenartig eingefügten bunten Scheiben. Von den beiden Erkerfenstern aus blickte man auf den See und auf alte Dächer mit braunen Ziegeln. Einige Wände bestanden aus eingebauten Bücherregalen mit vielen Schubladen und Schränken. Die Möbel waren ein Sammelsurium schöner Sachen und modernen Designs, nicht immer geschmackvoll zusammengetragen, aber ich kannte mich da schlecht aus. Zwei eingebaute Schiebetüren führten in die Schlafzimmer. Badezimmer und Duschraum mit ihren knallblauen Kacheln waren groß und so provokativ unmodern, dass sie dem heutigen Retro-Geschmack entsprachen. Dazu kam ein wuchtiger Lüster, der das Badezimmer mit seinen Spiegelschränken in kreidiges Licht tauchte.
    Ich pfiff zwischen den Zähnen.
    »Blendend!«
    Kanam brach in Gelächter aus.
    »Komm, sieh dir die Küche an!«
    Auch diese war groß und altmodisch, mit einem überdimensionalen
Kühlschrank und einem Nebenraum voller Krimskrams, der auch als Waschküche diente.
    »In Brüssel lebten wir in einem modernen Hochhaus, hatten aber wenig Platz. Deswegen liebten meine Eltern diese Wohnung hier sehr. Aber jetzt habe ich das Gefühl, dass sie für mich allein viel zu groß und viel zu ruhig ist.«
    »Warum viel zu ruhig?«
    »Seitdem ich meinen Vater verloren habe«, seufzte er, »bedrückt mich die Stille sehr. Ich bin froh, wenn die Büros unten offen

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