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Das Haus der toten Mädchen

Das Haus der toten Mädchen

Titel: Das Haus der toten Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Stuart
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nachzuweisen. Man hatte sich damit zufrieden gegeben, ihn für die Sache mit Lorelei lebenslang einzubuchten. Die beiden anderen Mädchen waren nicht in seiner unmittelbaren Nähe gefunden worden: Valette in einem Maisfeld und Alice neben der Straße. Die Polizei hatte sich nie den Kopf darüber zerbrochen, wie unwahrscheinlich es war, dass in einem Städtchen von der Größe Colbys zwei Mörder zugleich ihr Unwesen getrieben hatten. Zwei Killer, die es beide auf hübsche Teenager abgesehen hatten. Man hatte sich damit begnügt, Thomas Ingram Griffin aus dem Verkehr zu ziehen. Nur gut, dass die Todesstrafe in Vermont abgeschafft war. Und um ihn zu lynchen, waren die Bürger von Colby zu träge gewesen.
    Er hatte sich gefragt, ob ihn nach seiner Rückkehr jemand wiedererkennen würde, war aber zu dem Schluss gekommen, dass das unwahrscheinlich war. Er hatte sich die alten Zeitungen heraussuchen lassen und die grobkörnigen Fotos studiert: Man sah einen Jungen mit überschulterlangem Haar, einem Bart, der das halbe Gesicht verdeckte, und zusammengekniffenen Augen à la James Dean, die darüber hinwegtäuschen sollten, dass er eigentlich eine Brille gebraucht hätte. Das am häufigsten gedruckte Bild war natürlich das von seiner Festnahme am Seeufer, als man ihn in Handschellen abgeführt hatte. Er hatte abgeschnittene Jeans angehabt, und seine Tätowierung war – wenn man überhaupt darauf achtete – ziemlich gut zu erkennen. Er schärfte sich ein, sein Hemd anzubehalten: Die Schlange, die sich über eine seiner Hüften wand, könnte sonst alles zunichte machen.
    Wenn er diese Tätowierung bedeckte, war es unwahrscheinlich, dass jemand den zurückgezogenen Brillenträger Mr. Smith mit dem mordlustigen jungen Landstreicher von damals in Verbindung brachte. Er trug jetzt Khakihosen und makellose Baumwollhemden. Von seinem Bart hatte er sich längst getrennt, denn inzwischen war sein Gesicht zu markant, um noch engelhaft zu wirken. Sein Haar war kürzer und hatte früh graue Strähnen bekommen, und wenn sich hier noch jemand an den unglückseligen Knaben erinnerte, den man hinter Gitter gesteckt hatte, würde er in den Zügen von Mr. Smith höchstens eine entfernte Ähnlichkeit erkennen können. Wenn sich überhaupt jemand die Mühe machte, ihn anzuschauen.
    Er verließ sich darauf, dass niemand ihn genauer betrachtete. Und dass sich niemand erinnerte. Im Laufe der Jahre war ihm aufgefallen, dass die Leute meistens genau das wahrnahmen, was sie wahrnehmen wollten, und niemand würde die verlorene Seele eines vermeintlich überführten Mörders in den Zügen eines gut betuchten Touristen suchen.
    Die Stonegate-Farm sah erstaunlicherweise besser aus als vor zwanzig Jahren. Die Holzfassade, von der damals die ehemals weiße Farbe abgeblättert war, hatte man in einem fröhlichen Gelb gestrichen, und an der Veranda hingen Ampeln mit Blumen, nicht zu viel und nicht zu wenig. Die Fenster waren makellos sauber und glänzten im Sonnenlicht; der einst ungepflegte Rasen war gut in Schuss, und selbst an der alten Scheune schien etwas getan worden zu sein. Dem alten Trakt an der Hinterseite hatte man einen neuen Anstrich verpasst, aber die Türen waren offenbar zugenagelt worden, und durch die stumpfen Fenster konnte Griffin nichts erkennen. Dort einzudringen würde nicht einfach werden, aber immerhin hatten die neuen Eigentümer diesen Teil noch nicht instand gesetzt und dabei alle Spuren vernichtet. Gott sei Dank, so bestand noch Hoffnung, dass er etwas entdecken würde, das ihm seine nagenden Fragen beantworten konnte.
    Auf der Veranda saß jemand und beobachtete ihn. Er erblickte ein Paar langer, nackter Beine, die vor und zurück schaukelten.
    „Wer sind Sie?“ erkundigte sich das Mädchen, das vermutlich nicht viel älter war als damals Lorelei. Sie hatte schwarzes Haar mit fuchsienroten Strähnchen, trug einen Ring durch eine Augenbraue und einen knappen Badeanzug, der ihren mageren Körper mehr betonte als verhüllte, und guckte ihn feindselig an. Das musste Sophie Davis’ Schwester sein. Kein Wunder, dass Sophie so genervt wirkte.
    „John Smith. Ich habe das Haus im Wald gemietet.“ Er bezeichnete es bewusst nicht als Whitten-Haus: Ein Fremder würde diesen Namen vermutlich nicht kennen. „Ich habe mich gefragt, ob Sie zufällig eine Tasse Kaffee übrig haben.“
    Das Mädchen zuckte mit den schmalen Schultern. „Sophie kocht normalerweise eine ganze Kanne – gehen Sie rein und bedienen Sie sich. Ich bin Marthe.

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