Das Haus der toten Mädchen
Mit einem
e
. Wie im Französischen.“
„Ihrer Schwester macht es hoffentlich nichts aus?“
Die Kleine kniff die Lider zusammen und guckte ihn misstrauisch an. „Woher wissen Sie, dass sie meine Schwester ist?“
„Logik“, sagte er, während er die Stufen zur Veranda nahm. Die Dielen hatte man in einem frischen Grau gestrichen, die Unterseite des Vordachs war himmelblau und mit aufgesprühten flauschig-weißen Wölkchen verziert. „Sie hat mir erzählt, dass sie hier mit ihrer Schwester und ihrer Mutter wohnt, und wenn Sie eine Hilfskraft fürs Bed and Breakfast wären, würden Sie bestimmt nicht so faul auf Ihrem Hintern sitzen.“
„Vielleicht mache ich gerade Pause. Sie haben nicht zufällig eine Zigarette, oder?“
„Ich habe das Rauchen aufgegeben. Wie alt sind Sie?“
„Einundzwanzig.“
„Ja, klar.“
„Achtzehn.“
„Hm-hm.“
„Nächsten Januar.“
„Sorry, ich habe nicht vor, Ihre schlechten Angewohnheiten zu unterstützen.“
Sie lehnte sich zurück und betrachtete ihn in aller Ruhe. „Oh, ich wüsste auch was Besseres, um mich von rechten Pfad abzubringen.“
An seinem Lachen lag nichts Fröhliches. „Honey, ich bin viel zu alt für Sie.“
„Ich wäre durchaus bereit, über solche Kleinigkeiten hinwegzusehen“, erwiderte sie mit schwüler Stimme. „Woher kennen Sie meine Schwester?“
„Sie hat mir Muffins gebracht, um mich in der Nachbarschaft zu begrüßen.“
Das Mädchen grinste höhnisch. „Vorsicht, Falle. Sie ist scharf auf das Whitten-Haus, und der Zweck heiligt bei ihr die Mittel. Wenn Sie nicht aufpassen, treiben Sie bald mit dem Gesicht nach unten im See.“
Diese makabre Vorstellung traf ihn wie ein Schlag in die Magengrube, aber Sophies Schwester schien sich der Wirkung ihrer Worte nicht bewusst zu sein. Völlig unbekümmert hatte sie seine vagen Erinnerungen an einen anderen Körper wachgerufen, der mit dem Gesicht nach unten im Still Lake geschwommen hatte.
„Sie kommt mir nicht besonders mörderisch vor“, entgegnete er vorsichtig und lehnte sich ans Geländer.
„Die Dinge sind nicht immer so, wie sie scheinen“, antwortete das Mädchen heiter. „Wirkt dieses Haus zum Beispiel wie der Schauplatz eines grausamen Mordes? Nicht unbedingt, oder? Man sollte meinen, dass man hier eher an Langeweile stirbt als an einer durchgeschnittenen Kehle. Vollkommene Ruhe, seliger Frieden.“
„Genau das suche ich.“
„Vor zwanzig Jahren hätten Sie da aber alt ausgeschaut“, verkündete sie mit makabrer Begeisterung. „Da hat sich hier ein Serienmörder herumgetrieben, und er hat drei weibliche Teenager umgebracht. Hat sie vergewaltigt und zerstückelt. Das war echt scheußlich.“
„Hört sich auch so an“, sagte er mit gelangweilter Stimme. So schlecht war sein Gedächtnis nun doch nicht: Es hatte keine Vergewaltigungen gegeben, und nur Alices Körper war verstümmelt worden. Allerdings hatten die Autopsien ergeben, dass alle drei Mädchen in den letzten vierundzwanzig Stunden ihres Lebens Geschlechtsverkehr gehabt hatten. „Hat man den Mann je gefasst?“
„Woher wollen Sie wissen, dass es ein Typ war?“ erkundigte sich Marthe argwöhnisch.
„Die meisten Serienmörder sind Männer. Außerdem haben Sie erwähnt, dass die Opfer vergewaltigt worden sind.“
Marthe zuckte wieder mit ihren schmalen Schultern. „Gracey kennt bestimmt alle Einzelheiten – sie liebt nichts mehr als True-Crime-Thriller. Sie ist zwar inzwischen so vertrottelt, dass sie sich kaum noch an ihren eigenen Namen erinnert, aber es könnte sich lohnen, sie nach den Details zu fragen, wenn es Sie interessiert.“
„Nicht sonderlich“, log er. „Ich interessiere mich eher für Kaffee.“
Das Mädchen rutschte von der Brüstung und wackelte an ihm vorbei, offenbar in der Absicht, ihn zu provozieren. „Ich zeig Ihnen den Weg“, bot sie an. „Hoffen wir, dass wir Sophie nicht über den Weg laufen.“
Die Küche des alten Gebäudes war komplett überholt worden. Die immer wieder überlackierten Schränke waren bis auf das nackte Eichenholz abgebeizt worden, der Boden bestand jetzt aus unbehandelten Natursteinfliesen, der riesige Ofen war auf den Restaurantbetrieb ausgelegt, und die Arbeitsflächen waren aus Granit und hatten eingelassene Schneidebretter. Kein Vergleich mit Peggy Niles’ klinisch reinem Reich: Ihre Küche hatte ihn immer an einen OP erinnert. Alles war makellos und immer frisch geschrubbt gewesen, so dass nicht einmal die verlockendsten Essendüfte es
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