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Das Haus der toten Mädchen

Das Haus der toten Mädchen

Titel: Das Haus der toten Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Stuart
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geflissentlich: Von der Polizei hatte er nichts zu befürchten, schon seit Jahren nicht. Er war Anwalt, du meine Güte, und im Gegensatz zu Annelise erforschte er niemals die Grenzen des gesetzlich gerade noch Möglichen. Er hatte den Ehrgeiz, all seine Ziele zu erreichen, indem er sich strikt innerhalb genau jenes Systems bewegte, das ihn fünf Jahre lang in einen Hochsicherheitstrakt gesperrt hatte – zur Strafe für ein Verbrechen, das er nicht begangen hatte.
    Als er die Treppe hinunterstolperte, war er auf alles gefasst – sogar auf den alten Zeke, der gekommen war, um ihn festzunehmen. Durch die schmutzigen Spitzengardinen konnte er mehrere Personen erkennen, die auf seiner Veranda standen, und mit einem Knurren riss er die Tür auf.
    Einen Augenblick lang dachte er, sie gehörten irgendeiner christlichen Fundamentalistensekte an, die ihre Mitglieder von Tür zu Tür schickte, um für Christus zu werben. Der große Mann an der Spitze der Delegation sah aus wie ein Abraham Lincoln, dem man seinen Humor herausoperiert hatte: ein langes, schmales Gesicht mit ledriger Haut und einem offenbar fest eingebauten Ausdruck tiefer Missbilligung, eingerahmt von einem grauen Bart; kalte, dunkle Knopfaugen; ein schmaler, verbissener Mund; das Misstrauen in Person. Er wirkte wie eine Figur aus einem Stephen-King-Roman, und wenn er ihm jetzt etwas über Erlösung erzählen wollte, würde Griffin ihm kräftig übers Maul fahren.
    „Sie sind Smith?“ fragte der Mann mit unverkennbarem, starkem Vermonter Akzent, wie man ihn außerhalb des Northeast Kingdom kaum zu hören bekam.
    „Ja. Wer will das wissen?“ Er versuchte, ebenso unwirsch zu klingen wie sein unwillkommener Gast. Direkt hinter dem Mann stand eine kleine ältere Frau. Weder sie noch er hatten Bibeln in den Händen, also war sein erster Verdacht wohl nicht richtig. Hinter den beiden, auf den Stufen zur Veranda, drückte sich noch jemand herum.
    „Zebulon King“, sagte der Mann. „Das sind meine Frau und mein Junge. Marge Averill hat uns geschickt, um das Haus zu reparieren. Schaut so aus, als hätten Sie hier einigen Ärger.“
    Mist. Plötzlich kamen ihm Zweifel, ob er überhaupt Hiesige als Helfer auf seinem Grundstück haben wollte. Und dann machte es Klick: Zeb King war der Vater eines der ermordeten Mädchen. Er hatte vor zwanzig Jahren im Prozess ausgesagt, nichts als Hörensagen, so dass seine Äußerungen aus dem Protokoll gestrichen werden mussten – aber sie hatten doch ein ungutes Licht auf Griffin geworfen. Er erinnerte sich auch an die Tochter dieses Mannes. Valette King hatte gegen ihre Eltern und die streng religiöse Erziehung rebelliert, indem sie mit allem geschlafen hatte, was Hosen trug. Er hatte ein paar Nächte mit ihr verbracht, aber sie war selbst für seinen ausgeprägten sexuellen Appetit zu unersättlich gewesen, und so hatte er sich der leichter zu befriedigenden Lorelei zugewandt. Valette hatte das nicht gefallen, kein bisschen, und selbst ihrem Vater war zu Ohren gekommen, dass es zwischen seiner Tochter und Griffin böses Blut gegeben hatte. Und das hatte er auch dem Gericht mitgeteilt.
    Das war zwanzig Jahre her, und Griffin hatte den Mann nicht einmal wiedererkannt. Er war jetzt über sechzig, auch wenn sein Gesicht, gegerbt durch die lange, harte Arbeit in der Sonne und geprägt durch einen unerschütterlichen, starren Glauben an Gut und Böse, eine Altersschätzung nahezu unmöglich machte. Zeb King würde ihn auf keinen Fall wiedererkennen. Und doch zögerte Griffin.
    „Können wir anfangen?“ fragte King ungeduldig. „Wir sind extra so spät gekommen, und jetzt drängt die Zeit.“
    Griffin warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Zu seiner Tarnung gehörte eine billige Timex; die Rolex hatte er zu Hause gelassen. Zebulon King fand offenbar, dass der Tag um acht Uhr in der Frühe schon halb herum war.
    Griffin entriegelte die Gittertür und stieß sie auf. Es wäre vernünftiger gewesen, sie nach Hause zu schicken, aber er wollte sich die günstige Gelegenheit nicht entgehen lassen. Zwei Menschen, die aufs Engste mit den Morden zu tun gehabt hatten, waren vor seiner Haustür aufgetaucht, die einzigen Angehörigen der Opfer, die noch in Colby lebten. Wie konnte er ein solches Geschenk der Götter ablehnen?
    Zebulon King marschierte ins Wohnzimmer; in einer seiner riesigen Pranken trug er einen altmodischen Werkzeugkasten. Seine Frau, deren plumper Körper in ein ausgeblichenes Kleid und eine ebenso verwaschene Schürze

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