Das Haus der toten Mädchen
„Sie machen nicht gerade den Eindruck, als interessierten Sie sich für Gartenarbeit, Mr. Smith. Ebenso wenig scheinen Sie der Typ zu sein, der genealogische Nachforschungen anstellt. Warum erzählen Sie mir nicht, warum Sie wirklich hier sind?“
„Warum glaubt alle Welt, dass ich geheime Absichten verfolge? Ich mache hier Urlaub, weiter nichts.“
„Dann lassen Sie Sophie in Ruhe“, forderte ihn Doc auf.
Da war ein Klang in seiner Stimme, der Griffin zwang, seinen versonnenen Blick von Alices Grab loszureißen. „Ist das eine Warnung?“ erkundigte er sich ruhig.
Einen Moment lang trafen sich ihre Blicke. Dann schüttelte Doc einfach den Kopf. „Nur eine Bitte. Sie hat alle Hände voll zu tun mit ihrer Mutter und ihrer Schwester und diesem Gasthaus. Sie braucht keine weiteren Komplikationen. Und Sie ebenso wenig, wie ich vermute.“
„Da haben Sie Recht“, meinte Griffin leichthin. „Im Grunde bin ich eine schlichte Natur.“
„Oh, das glaube ich nicht, Mr. Smith. Das glaube ich ganz und gar nicht.“
In vergleichsweise wohltuender Stille liefen sie den Hügel zur Straße hinab. Wie ein besorgter Vater hatte Doc eine Warnung ausgesprochen, und Griffin hatte die Botschaft verstanden. Ob er dem Rat Folge leisten würde, stand auf einem ganz anderen Blatt.
Er würde noch einmal wiederkommen müssen. Doc war schon viel zu argwöhnisch, und wenn er herausfand, wer Griffin war, wäre es mit seinen Nachforschungen ein für alle Mal vorbei. Verdammt, wenn die guten Leute von Colby erfuhren, dass hier der vermeintliche Mörder der Mädchen frei herumlief, konnte er sogar doch noch mit der Lynchjustiz Bekanntschaft machen.
Also ging er an Docs Seite schweigend zum Wagen zurück. Der Schein musste gewahrt bleiben.
„Ich habe den Verdacht, dass meine Schwester es letzte Nacht getrieben hat.“
Patrick sah von der Kettensäge auf, die er gerade schärfte. „Und warum sollte mich das interessieren?“
„Ich schätze, es war das erste Mal für sie“, verkündete Marty und schlenkerte mit ihren langen Beinen. Sie wusste, dass sie schöne Beine hatte, und wollte sicherstellen, dass Patrick es ebenfalls bemerkte.
Er war bemerkenswert schwer zu beeindrucken, aber allmählich gewöhnte sie sich an seine Lakonik, die so typisch für Vermont war. Sie wusste einfach nicht, ob er an ihr interessiert war oder nicht. Ihr Instinkt sagte ja, sein Verhalten aber konterkarierte ihre Hoffnung.
Patrick konzentrierte sich schweigend auf die Säge. „Und selbst wenn sie doch keine Jungfrau mehr war“, fuhr Marty fort, „so hat sie bestimmt nicht so viel Erfahrung wie ich.“
Er hob nicht einmal den Blick. „Ist das etwas, womit man angeben sollte?“
„Klar“, erwiderte sie, leicht perplex. „Ich hatte ’ne Menge Freunde. Ich weiß gar nicht mehr, wie viele Lover genau.“ Was gelogen war. Es hatte nur zwei gegeben: den schnellen, dreckigen und harten Jeff und Nate, dem es ziemlich egal gewesen war, wen er vögelte. Früher oder später würde sie den Liebhaber finden, den sie verdient hatte. Nach der Aufmerksamkeit zu urteilen, die Patrick dieser dämlichen Kettensäge schenkte, war er ein verdammt heißer Kandidat.
Er war auf jeden Fall ziemlich klasse: schlank, muskulös, gebräunte Haut, große, starke Hände. So klasse, dass er wahrscheinlich schon eine feste Freundin hatte. Das war nicht unbedingt ein Hinderungsgrund: Sie hatte Jeff ihrer besten Freundin Sally ausgespannt – nur um festzustellen, dass er den Ärger nicht wert war. Immerhin musste sie in diesem Fall niemanden hintergehen, den sie kannte.
Patrick schnaubte verächtlich. „Magst du keinen Sex?“ bohrte sie nach. Sie hockte neben der Säge auf der Mauer und wippte weiter mit ihren langen Beinen, aber er schien viel lieber die blöde Säge zu schärfen als sich mit ihr zu unterhalten.
Er schaute auf. „Sex gefällt mir durchaus“, meinte er gelassen. „Wenn ich in jemanden verliebt bin. Wenn nicht, kann ich auch ohne leben.“
„Und? Wie viele hattest du schon?“ hakte sie nach. Eine Sekunde hatte es den Anschein, als wollte er gar nicht antworten, aber dann öffnete er doch den Mund.
„Nur meine Freundin Abby“, erklärte er.
Verdammt. „Wer ist sie? Die große Liebe deiner Kindheit? Wirst du sie heiraten, wenn du mit dem College fertig bist?“
„Sie ist tot.“
Die Antwort verschlug ihr kurzfristig die Sprache. Mit einem toten Mädchen konnte man schlecht konkurrieren. Andererseits war sie hier und die Freundin nicht
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