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Das Haus der toten Mädchen

Das Haus der toten Mädchen

Titel: Das Haus der toten Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Stuart
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würde sie eine Weile schmollen und vor Wut schäumen. Dann würde sie sich allmählich daran erinnern, wie gut es sich angefühlt hatte, und ihr Schutzwall würde allmählich bröckeln. Oder er würde ein wenig nachhelfen und ihn niederreißen.
    Nur zu Erholungszwecken, ermahnte er sich. Und weil er es, verdammt noch mal, wollte.
    Natürlich fiele dabei für ihn, wenn sie sich dazu durchringen sollte, ihm zu vertrauen, auch ein bequemer Zugang zum Haus ab. Er brauchte nicht mehr als ein paar Stunden, in denen er ungestört den alten Flügel durchstöbern konnte und versuchen würde, seinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen. Wenn das nicht klappte, würde er Colby schnellstmöglich verlassen und den Versuch aufgeben, eine Erinnerung wachzurufen, die offenbar zu tief verschüttet war. Er würde das Ganze einfach auf sich beruhen lassen, wie er es längst hätte tun sollen.
    Der Regen hatte aufgehört, als er durch die winzige, pittoreske Stadt Colby fuhr. In Audleys Gemischtwarenhandlung war, wie immer, viel los, und die Autos der Kunden verstopften die Straße und füllten den Parkplatz beim kleinen Stadtpark. Leute auf dem Weg zum öffentlichen Strand liefen über die Straße; das Country-Club-Volk im weißen Tennis-Outfit vermischte sich mit den Einheimischen, die nur Badeanzüge anhatten. Die Sommergäste waren nicht auf den öffentlichen Uferabschnitt angewiesen: Sie hatten alle Cottages am See, zu denen Privatstrände gehörten. Nur bei Audley’s berührten sich diese beiden Welten zuweilen.
    Er hielt nicht an. Der alte Gemischtwarenladen machte ihn noch immer nervös, und er erledigte seine Einkäufe lieber im Supermarkt in der Nachbarstadt, wo kaum die Gefahr bestand, jemandem über den Weg zu laufen, mit dem er vor zwanzig Jahren zu tun gehabt hatte. Jemandem, der gegen ihn ausgesagt hatte.
    Der Dorffriedhof lag in der Nähe des Ortszentrums, auf dem Weg zum Pflegeheim und der alten Müllkippe: eine Kombination, die ihm schon damals auf Anhieb eingeleuchtet hatte. Dieses Gelände war viel weitläufiger und nicht von einem weißen Zäunchen umfriedet, um die Toten zu beschützen. Es bot auch keinen Seeblick, aber er tröstete sich damit, dass es den Leuten, die hier lagen, wohl nicht sonderlich viel ausmachte. Hier waren die Einheimischen, hier waren die sterblichen Überreste von Valette King und Alice Calderwood begraben. Er wusste nicht, wo genau auf der terrassierten Rasenfläche er sie suchen sollte. Am besten hielt er wohl nach gelben Blumen Ausschau.
    Der Dorffriedhof hatte mehr Plastikkreuze als Blumenarrangements zu bieten. Er entdeckte Valettes Grab auf Anhieb. Die gelben Blumen standen neben einem zerzausten Teddy, dem das Wetter schon arg zugesetzt hatte. Über seinen verfilzten Bauch kroch eine Nacktschnecke.
    Im Gegensatz zu den anderen trug Valettes Grabstein eine Inschrift, für die zweifellos ihr gestrenger Vater gesorgt hatte:
An Satan verloren
stand da unter ihrem Namen. Der Stein selbst war klein und wirkte schäbig. Er fragte sich, von wem der Teddybär stammte. Vielleicht von ihrem zurückgebliebenen Bruder, der womöglich doch nicht so beschränkt war, wie alle glaubten. Zum Teufel, er musste fünfzehn gewesen sein, als die Mädchen starben. Fast erwachsen also – aber womöglich nicht imstande, Gut von Böse zu unterscheiden. Vielleicht hatte er die Predigten seines Vaters allzu sehr verinnerlicht und beschlossen, die Gottlosen zu bestrafen.
    Allerdings gab es neben den drei Teenagermädchen, die versucht hatten, das Leben auszukosten, einen ganzen Haufen weiterer gottloser Leute in Colby. Und Perley King hatte die Augen eines unschuldigen Kindes. So bequem es auch gewesen wäre: Ihn konnte Griffin nicht ohne weiteres zum Sündenbock abstempeln.
    Der abschüssige Rasen unter seinen Füßen war glitschig, und er musste seine Schritte vorsichtig setzen, während er sich nach weiteren verräterischen gelben Flecken umsah. Er hatte keinerlei Zweifel, dass er so auch Alice Calderwoods Grab finden würde. Es musste nicht unbedingt viel bedeuten: Vielleicht hatte Zebulon King eine Fixierung auf jung verstorbene Mädchen und brachte ihnen regelmäßig Blumen. Oder sein Schuldgefühl trieb ihn dazu.
    Vielleicht.
    Oder es war jemand anderes. Wer auch immer die drei jungen Frauen getötet haben mochte, hatte noch mehr Opfer auf dem Gewissen, und vielleicht lebte er sogar noch in der Stadt und besuchte die Gräber seiner Opfer.
    Es gab verflixt viele Vielleichts in diesem Spiel.
    Alice

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