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Das Haus der toten Mädchen

Das Haus der toten Mädchen

Titel: Das Haus der toten Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Stuart
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mit Brettern vernagelt, die zu entfernen einen Höllenlärm machen würde. Er würde die alte Küchentür nehmen müssen, was die Sache etwas prekär machte, denn die Herrin dieser speziellen Küche war nicht gut auf ihn zu sprechen.
    Verdammt, wie viele Ausreden er doch hatte! Vielleicht war er doch noch nicht bereit, mit der Wahrheit zu leben.
    Was, wenn die Wahrheit über jene Nacht ans Licht kam und ihm nicht gefiel? Was, wenn ihm plötzlich wieder einfiel, wie er Lorelei getötet hatte – und vielleicht auch die anderen? Wie sollte er mit diesem Wissen leben?
    Er würde es durchstehen. Noble Gesten wie eine Selbstanzeige und ein freiwilliges Geständnis würde es nicht geben. Er hatte schon fünf Jahre abgesessen, und wenn er die Mädchen wirklich umgebracht hatte, so war er nicht bei Sinnen, nicht er selbst gewesen.
    Es gab zu viele offene Fragen. Was war mit den anderen Frauen, wenn es denn weitere Opfer gab? Er musste mehr über das Mädchen vom alten McLaren-Friedhof herausfinden, das mit den frischen gelben Blumen auf dem Grab. Er musste die anderen Friedhöfe abklappern und nach weiteren Gräbern junger Frauen suchen, die mit diesen ungewöhnlichen Blumen geschmückt waren. Und da er sich heute im Gasthaus nicht blicken lassen durfte, konnte er auch gleich damit anfangen.
    Es war nicht das erste Mal, dass er Loreleis Grab besuchte. Sobald er aus dem Gefängnis entlassen worden war, hatte es ihn hergezogen. Der Grund hierfür war ihm unklar – vielleicht hatte er immer noch nicht recht glauben können, dass sie tot war. An jenem Tag hatte es geregnet, und er hatte an ihrem Grab gestanden und geweint. Das letzte Mal in seinem Leben. Er erinnerte sich nicht daran, ob da irgendwelche Blumen gelegen hatten: Die nackten Daten, die in den Granit gehauen waren, hatten alles andere ausgelöscht.
    Heute würde es wieder regnen. Die Wolken, unheilvoll und niederdrückend, zogen über den See, und als er vor dem winzigen, pittoresken Friedhof am Seeufer einparkte, fielen die ersten Tropfen auf die Windschutzscheibe seines Jaguar.
    Die meisten ständigen Bewohner von Colby wurden auf dem Dorffriedhof beigesetzt. Auf diesem Friedhof am See hingegen fanden seit etwa siebzig Jahren vor allem Sommergäste ihre letzte Ruhestätte, aber Loreleis Familie bestattete ihre Angehörigen seit Anfang des neunzehnten Jahrhunderts hier, also auch Lorelei.
    Die gelben Blumen sah er als Erstes: Ihr grelles Gelb stach von der flechtenbewachsenen Granitplatte ab. Ohne dem Regen Beachtung zu schenken, ging er langsam darauf zu und blieb mit gesenktem Haupt vor dem Grab stehen. Er war nicht gerade ein Schnittblumenexperte, aber diese Sorte war ihm früher nie untergekommen. Er wusste nur, dass sie mit denen auf dem McLaren-Friedhof identisch waren, wenn auch frischer.
    Niemand von Loreleis Familie lebte noch hier. Ihre Mutter war gestorben, als Lorelei noch ein Kind gewesen war, und den Vater hatte vor ein paar Jahren der Krebs umgebracht. Sie besaß keine Geschwister, niemanden, der noch um sie trauern konnte. Wer hatte ihr dann die frischen Blumen aufs Grab gelegt – und wieso?
    Er ließ den Blick über die Grabsteinreihen schweifen, die sich bis zum See hinunter erstreckten. Der stärker werdende Regen zwang ihn zu blinzeln. Mindestens die Hälfte der Gräber war bepflanzt oder verfügte über Blumenschmuck, von Rosenbüschen bis zu kitschigen Gestecken und Gebinden. Er schritt die Mittelreihe der kleinen Anlage entlang, bis er fand, wonach er Ausschau gehalten hatte: einen kleinen Stein mit den gleichen gelben Blumen.
    Marsha Daniels, sechzehn Jahre alt, geboren 1957, gestorben 1973. Keine weiteren Informationen, nur der verräterische Blumenstrauß.
    Er kritzelte die Daten auf ein Stück Papier, obwohl der prasselnde Regen die Tinte sofort verlaufen ließ. Dann eilte er zum Wagen zurück.
    Er hatte sich außergewöhnlich heiter gefühlt, als er am Morgen aufgebrochen war. Sex pflegte diese Wirkung auf ihn zu haben, selbst Sex, den er hinterher bereute, und seit Annelise und er nicht mehr zusammen waren, hatte er Enthaltsamkeit geübt. Außerdem fand er Sophie seltsamerweise und gegen alle Vernunft anziehend: all diese Rüschen, ihre Kochkünste und diese wilde Entschlossenheit, ihre Familie zu beschützen. Mittlerweile hatte sich seine gute Laune in Luft aufgelöst – diesen Effekt hatten Friedhöfe offenbar immer auf ihn. Und er vermutete, dass es in nächster Zeit verdammt schwer werden könnte, an Sophie heranzukommen. Erst

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