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Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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dieses Gefühl wohl zu bedeuten hat. Am anderen Ende der Hauptstraße, wo eine breitere freie Fläche zwischen den flankierenden Ladenzeilen eine Art Platz bildet, steht eine rundliche Frau auf einem wackeligen Holzpodest. Ihre Haube ist der starken Sonne nicht gewachsen, und ihr gerötetes Gesicht glänzt. Doch es sind die Farben, die Cats Blick auf sich ziehen und ihr den Atem stocken lassen: ein Banner in Weiß, Grün und Purpurrot hängt zu einer Girlande drapiert hinter der Frau. Sie trägt eine passende Schärpe und Bänder, die schlapp in der unbewegten Luft hängen. Erhebt Euch! Auf, zieht in den Kamp f ! steht auf dem Banner, von Hand in purpurroten Buchstaben gemalt, die sich kühn von dem weißen Stoff abheben. Auf einem kleineren Plakat, das neben der Frau aufgestellt ist, steht WSPU Newbury . Cat fährt sich mit der Zunge über die trockenen Lippen und geht, er füllt von einer eigenartigen Sehnsucht – beinahe wie damals, als ihre Mutter starb, wenn auch nicht so stark –, auf die Menschenmenge zu.
    Es sind hauptsächlich Männer, die den Lärm veranstalten, obwohl auch einige Frauen dabei sind – sie lachen, tauschen laut Bemerkungen, schießen durch gesenkte Wimpern schockierte Blicke ab. Die Leute ganz vorn vor dem Podium, die vielleicht die Rede hören wollten, haben gar keine Chance. Die Frau ringt vor Anstrengung, sich trotz des allgemeinen Lärms verständlich zu machen, bereits nach Luft.
    »Wie Mrs. Pankhurst selbst erklärt hat … wie Mrs. Pank hurst selbst erklärt hat, ist das Wahlrecht zuallererst ein Symbol! Erstens ein Symbol, zweitens ein Schutz, und drittens ein Instrument! Schwestern! Kameradinnen! Eure Lebensumstände werden sich niemals verbessern, solange die Regierung dieses Landes euch allen keinerlei Rechenschaft schuldig ist!«, ruft sie in eine neue Woge von Pfiffen und Beschimpfungen hinein. Die Rednerin, eine gedrungene Frau mit braunen Locken und einem breiten, sanftmütigen Gesicht, lässt den Blick hilflos über die feindselige Menge schweifen. »Das Wahlrecht ist das Instrument, durch welches wir in Bildung, Recht und Arbeitsbedingungen gerechtere Verhältnisse schaffen können! In allen drei Bereichen herrscht ein gewaltiges Ungleichgewicht – zugunsten des männlichen Geschlechts!«, sagt sie, und ihre Worte gehen beinahe im Gejohle der Leute unter. »Es heißt, Männer und Frauen lebten in zwei verschiedenen Daseinsbereichen: Heim und Herd für Frauen, Arbeit und Regierungsgeschäfte für Männer. Diese Lebensbereiche seien von Gott so vorgesehen und müssten weiterhin getrennt bleiben. Es heißt, die Welt der Politik sei zu schmutzig und zu rau für Frauen. Nun, wenn das Heim von der Reinheit und der sanften Hand einer Frau profitiert, dann gilt das doch gewiss auch für die Gesellschaft und das öffentliche Leben. Wenn dieses so schmutzig und rau ist, lasst es uns reinigen und zivilisieren!«, ruft sie mutig.
    »Ruhe!«, sagt Cat. Das Wort scheint direkt von ihren Lippen zu springen, ohne ihr vorher durch den Kopf gegangen zu sein.
    »Ja, halt endlich den Mund!«, ruft ein Mann neben ihr, schaut auf sie herab und grinst zustimmend.
    »Nein, ihr alle! Seid still! Lasst sie sprechen! Besitzt ihr denn kein bisschen Anstand?«, ruft Cat.
    »Herrgott, noch so eine«, brummt der Mann einem Bekannten zu, weicht einen Schritt von Cat zurück und beäugt sie kalt.
    »Lasst sie sprechen!«, ruft Cat noch einmal, lauter jetzt. Einige weitere Leute drehen sich nach ihr um. Die Rednerin fährt tapfer fort, doch Cat kann sie nicht mehr hören. Sie hat ein Summen in den Ohren, das nichts mit dem Geschiebe und Gedränge der vielen Menschen oder der anschwellen den Flut ihrer Stimmen zu tun hat. Der Gestank von Schweiß und erhitzter Haut ist überall. Die Luft schmeckt verbraucht, beschmutzt – vermengter Atem, heiße Dämpfe und üble Laune. Der Mann neben ihr und sein Freund haken sich un ter, stimmen laut die Parodie irgendeines Music-Hall-Schla gers an und schunkeln wild dazu.
    »Setzt mich auf einer Insel ohne Mädchen aus, setzt mich zu den Bestien im Löwenhaus, setzt mich ins Gefängnis, bis ich beinahe verrecke, nur bitte, bitte nicht zu ’ner verdammten Suffragette!«, grölen sie und krümmen sich dann vor Lachen über ihr launiges Liedchen. Als Cat das Wort Gefängnis hört, wallt schwarze Wut in ihr empor, bitter wie Galle.
    »Haltet den Mund! Seid still, ihr erbärmlichen Hurensöhne!«, faucht sie die Männer an.
    »He, pass auf, wie du redest, Schlampe. Sonst

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