Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)
ist geprägt von einer Emotion, die sie nicht genau bestimmen kann.
»Bertie, bitte …«
»Wir werden nicht mehr darüber sprechen«, erklärt er.
»Aber ich will darüber sprechen! Wir müssen uns über diese Dinge unterhalten, Albert, oder ewig im Dunkeln tappen!«, ruft sie verzweifelt aus.
»Was soll das heißen, im Dunkeln? Du bist diejenige, die dieses Haus durch solch schamloses Tun in Dunkelheit stürzen wird!«
» Schamlos? Ist es etwa verwerflich, wenn eine Frau ihren Ehemann berührt – den Mann, mit dem Gott sie vereint hat? Ist es verwerflich, dass ich mir wünsche, als Mann und Frau mit dir zu leben, und nicht wie Bruder und Schwester? Du bist ein Mann Gottes, Albert. Das weiß ich, und ich respektiere es. Aber du bist kein Mönch! Was wäre denn der Sinn einer Ehe, wenn nicht der, dass wir beieinanderliegen dürfen, einander berühren und eine Familie werden, Albert?« Ihre Stimme bebt, so aufgewühlt ist sie.
Albert steht eine Weile nur da und starrt sie an. Sein Kiefer malmt, die Muskeln an den Gelenken treten hervor. »Du verstehst das nicht. Wie könntest du auch?«, sagt er schließlich mit harter, leiser Stimme.
»Nein, ich verstehe es nicht. Ich verstehe es wirklich nicht, und auch dich verstehe ich immer weniger, Bertie, und was ich getan habe, dass du mich so behandelst. Bitte erkläre es mir doch!«
»Ich … ich war immer gut zu dir, nicht wahr? Ein guter Ehemann?«
»Ja, aber …«
»Dann bitte, Hetty, hör endlich auf, mich ständig derart zu bedrängen ! Ist diese Fleischlichkeit denn alles, was du von mir willst? Bist du so verzweifelt darauf aus, dass du bereit bist, sie mir heimlich zu stehlen, während ich schlafe? Wie die abscheulichste, liederlichste Metze?«
»Wie kannst du so etwas zu mir sagen? Wie kannst du das Wort ›liederlich‹ gebrauchen, wenn ich mehr als ein Jahr nach unserer Hochzeit noch Jungfrau bin?«, stößt sie mühsam hervor, denn heftiges Schluchzen schnürt ihr die Kehle zu.
Alberts Gesicht ist bleich und glänzt vor Schweiß. Er sieht kränklich aus. »Ich … ich entschuldige mich dafür«, sagt er schließlich leise. Seine Augen sind weit aufgerissen, der Blick wirr. Er schluckt und schaut auf die weinende Hester herab wie auf ein wildes, unbekanntes Tier. Dann wendet er sich ab und geht langsam zu seinem Ankleidezimmer. Hester reißt die Hand hoch und bekommt seinen Morgenmantel zu fassen.
»Albert, warte! Bitte geh nicht, bleib hier und sprich mit mir!«, fleht sie.
»Nicht doch, Hetty«, murmelt Albert abwesend. Sein Gesicht wirkt dabei angespannt und gedankenverloren zugleich. »Ich muss mich fertig machen.« Er betritt sein Ankleidezimmer und schließt die Tür hinter sich.
Hester lässt sich zurück aufs Bett sinken und schlägt sich die Hand vor den Mund. Dabei erhascht sie einen Hauch seines moschusartigen Geruchs, der noch an ihrer Haut haf tet. Sie kann nicht mehr aufhören zu weinen, obwohl sie es versucht. Sie zittert in ihrem warmen Schlafzimmer und bleibt sitzen, bis diese Symptome nachlassen. An ihre Stelle treten Verwirrung, Zweifel und tiefe Niedergeschlagenheit, und eine neue, höchst unwillkommene Erkenntnis: Erst in dem Moment, als Albert die Augen aufschlug und sie sah, ließ seine Erregung nach. Hester rückt an die Bettkante und lässt die Beine baumeln. Sie sollte aufstehen und sich fürs Frühstück ankleiden, doch all das erscheint ihr so zwecklos. Vollkommen unnütz, so wie sie selbst.
Cat hört das Gejohle, ehe sie den bedauernswerten Gegen stand dieses höhnischen Gelächters sieht. Sie ist zu Fuß nach Thatcham gegangen, hat für Hester Briefe und ein Päckchen aufgegeben, und jetzt will sie noch frisches Fleisch vom Metzger holen. Das muss sie nun öfter tun als je zuvor, denn das Wetter ist unverändert heiß und schwül, und sie können nicht verhindern, dass das Fleisch im Pfarrhaus im Nu verdirbt. Wenn sie es nach nur einem Tag im Brunnen wieder heraufholen, ist es bereits silbrig grün und mit einem schmierigen Film überzogen, der an den Fingern kleben bleibt und so stechend säuerlich stinkt, dass es einem den Magen umdreht. Als Cat ein paar Minuten zuvor auf dem Weg hierher an Georges Kahn vorbeikam, machte ihr Herz einen Satz, und ihre Kehle war ganz trocken. Doch die Kabinentür war fest geschlossen, und von George war nichts zu hören oder zu sehen. Mit einem Kribbeln in der Magen gegend – den leichten Schmetterlingsflügeln der aufsteigenden Panik – ist sie weitergegangen. Sie fragt sich, was
Weitere Kostenlose Bücher