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Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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Leidenschaft und Ratio zugleich zu begegnen. Er verkörpert das Ideal eines unbefleckten menschlichen Geistes. Womit sonst könnte ich dieses Gefühl von Vollkommenheit, Friede und Freude erklären, das ich in seiner Ge sellschaft empfinde? Hester versteht das nicht. Wenn sie von ihm spricht, wird sie verdrießlich, gelegentlich sogar albern. Ich sollte sie deswegen nicht tadeln, da sie die Wahrheit nicht kennt und sich von solch esoterischen Dingen kaum einen Begriff machen kann. Frauen waren eben schon immer weniger gottesfürchtig als Männer, weniger lernbegierig, weniger dazu in der Lage, sich ganz dem ernsthaften Denken hinzugeben. Weisheit und Gelehrsamkeit liegen nicht in ihrer Natur, und diesen Mangel darf man ihnen nicht vorwerfen. Zwar werden der Lehre gemäß innerhalb der Theosophischen Gesellschaft keine solchen Unterschiede zwischen den Geschlechtern gemacht, doch ich behaupte nicht, mit jedem einzelnen ihrer Grundsätze übereinzustimmen.
    Während Robin fort ist, werde ich wieder selbst hinaus auf jene Wiesen gehen und die geistige Stille zurückgewinnen , die mir damals erlaubte, die Elementare zu sehen. Das werde ich tun. Ich darf nicht versagen. Denn wenn mir das nicht gelingt, bin ich nicht besser als die Kartenspieler im Pub oder die Unzuchtsünder in den dunklen Gassen. Ich werde ihre Angriffe auf den menschlichen Anstand bekämpfen, ebenso wie alles, was in mir selbst unrein ist, die materialistischen, weltlichen Triebe, die es mir unmöglich gemacht haben, jenes Wunder noch einmal zu sehen. Wie Charles Leadbeater selbst sagt: Die Elementare empfinden die Nähe eines gewöhnlichen Menschen, als blase sie ein Wirbelsturm an – ein Wirbelsturm, der zuvor über eine Jauchegrube geweht ist. Ich werde kein solch gewöhnlicher Mensch mehr sein. Wenn mir das gelingt, wird Robin wahrhaftig einen Grund haben, zurück zukehren. Einen richtigen Gefährten , einen verständigen Gehilfen und Schüler in seiner Lehre. Er muss einfach zurückkehren.

1911
    Nach dem Aufwachen kommt Hester ein paar Minuten lang einfach nicht darauf, was anders ist als sonst. Sie hört, wie Cat unten leise die Fensterläden öffnet und Holz sanft gegen Holz stößt, wenn die Läden sich zusammenfalten und in der Täfelung verschwinden. Die Luft ist stickig und zu warm. Ihre Haut juckt ein wenig und fühlt sich heiß und feucht an, wo das klamme Laken sie berührt. Ihre Gedanken kommen ihr benommen und verlangsamt vor. Dann wird es ihr klar – sie ist nicht allein. Zum allerersten Mal ist sie vor Albert aufgewacht, und er liegt noch neben ihr im Bett. Er schläft auf dem Rücken mit erschlafftem Kiefer und ganz leicht gerunzelter Stirn. Seine leisen Atemzüge erfüllen ihren Morgen, der sonst still gewesen wäre. Sechs Tage sind vergangen, seit Robin Durrant nach London gereist ist, und sie haben noch immer keine Nachricht von ihm. Während Albert sich deshalb ungeduldig zu sorgen scheint, ist Hester froh, ja, so glücklich wie seit Wochen nicht mehr. Sie rollt sich vorsichtig zur Seite und bleibt ihm zugewandt liegen. Die Vorhänge sind noch geschlossen, und durch den dicken Stoff dringt nur ein satter, ockerfarbener Schimmer. Albert hat während der Nacht die Bettdecke von sich geschoben und liegt mit weit ausgebreiteten Armen und Beinen da, beinahe, als habe jemand ihn achtlos dort abgelegt. Hester lächelt zärtlich, als er etwas Unverständliches murmelt und leicht den Kopf bewegt.
    Albert schläft stets in einem langen, weiten Hemd aus ungebleichtem Leinen und einer ebensolchen Hose. Der Stoff ist von einer unruhigen Nacht zerknittert, verrutscht und hier und da zusammengeknäuelt, was sich gewiss unangenehm anfühlen würde, wenn Albert wach wäre. Hester streckt den Arm aus und legt ihn leicht auf seinen Bauch, doch dann fährt sie überrascht zurück. Da ist etwas Hartes unter dem hellen Leinen in seinem Schritt, das sie noch nie an ihm gespürt hat. Albert murmelt wieder etwas, leiser diesmal. Hester starrt seinen schlafenden Körper an, doch sosehr sie sich den Kopf zerbricht, sie kommt nicht darauf, was für ein Ding eine solche Form haben und sich so anfühlen könnte – merkwürdig und beinahe unnatürlich, als gehörte es gar nicht zum Rest dieses entspannt auf dem Rücken schlafenden Körpers. Mit pochendem Herzen nestelt Hester sehr vorsichtig an den Knöpfen von Alberts Hose herum. Der Stoff ist derb, und sie muss beide Hände zu Hilfe nehmen, obwohl sie sich dabei vor ängstlicher Konzentration auf die

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